Die Heimkehr
Aramis du Lac kehrte nach langer Abwesenheit in die Ländereien seiner Vorväter zurück. Sein Schimmel Berek, so weiß wie der erste Schnee auf den Gipfeln der Mahakam-Berge, trug ihn mit gemächlichen Schritten durch die Hügel Toussaints. Die Rüstung des Ritters schimmerte im milden Sonnenlicht, und obwohl Staub und Schmutz die langen Wege ihrer Reise gezeichnet hatten, sprach die Eleganz seines Harnischs von Stolz und Würde.
Neben ihm ritt der junge Knappe Étienne de Montclair, ein schlanker Jüngling mit leuchtenden Augen und der naiven Hoffnung eines Neunzehnjährigen, der voller Bewunderung auf Aramis blickte. Étienne war mehr als ein Schüler, er war zu einem treuen Gefährten geworden, der während der Jahre auf Reisen viel gelernt hatte. Aramis, der stets seinen eigenen Weg durch die Welt beschritten hatte, erkannte den gleichen Durst nach Abenteuer in seinem Knappen, der einst auch ihn angetrieben hatte.
Die Ländereien der du Lacs lagen einen halben Tagesritt südlich von Beauclair. Im Gegensatz zu den meisten Adelsfamilien säumten die Hügel nur wenige Weinberge, sondern Olivenhaine und kleine Wälder. Hier, inmitten der sanften Hügel, war das Land ein wenig wilder, doch nicht minder schön. Die Olivenbäume mit ihren silbrig schimmernden Blättern warfen lange Schatten über das Land, und das Summen der Zikaden erfüllte die warme Luft. Zwischen den Hügeln erstreckte sich eine malerische Ebene, die sanft zum Ufer eines großen, blauen Sees abfiel. Inmitten dieses Sees, auf einer kleinen natürlichen Halbinsel, thronte der alte Stammsitz der du Lacs – eine Burg, die stolz und erhaben über das Wasser ragte und deren Mauern Geschichten von vergangenen Jahrhunderten erzählten.
„Toussaint ist ein Garten unter den Ländern“, sagte Aramis leise und beinahe zu sich selbst, seine Stimme getragen von einer tiefen Zufriedenheit, die ihn durchströmte.
Étienne, der den Blick schweifen ließ, konnte seine Bewunderung kaum verbergen. „Es ist wahrhaft ein Paradies, Herr. Kein Ort in der weiten Welt gleicht diesem hier.“
Der Weg führte sie durch das Dorf Avallach, das malerisch zwischen der Ebene und dem See lag. Die weißen Steinhäuser, spiegelten das Sonnenlicht wider, und aus der Dorfmitte führte eine schmale Landzunge zur kleinen Halbinsel, auf der die Burg majestätisch stand. Fischerboote schaukelten sanft im klaren Wasser, und in den Straßen des Dorfes herrschte das geschäftige Treiben eines friedlichen Nachmittags. Die Dörfler, die Aramis erkannten, hielten inne, um ihm freundliche Grüße zuzurufen. Kinder, die um die Brunnen spielten, starrten ehrfürchtig auf den Ritter in glänzender Rüstung und sein stolzes Ross.
Aramis hob die Hand zum Gruß, sein Herz füllte sich mit dem Stolz eines Mannes, der in die vertrauten Arme seiner Heimat zurückkehrt. Die Menschen hier lebten einfach, doch glücklich, unter dem Schutz der Familie du Lac, die seit Jahrhunderten über dieses friedliche Land herrschte.
Je näher sie der Stammburg kamen, desto größer wurde Aramis‘ Vorfreude, seinen Bruder Ramon wiederzusehen. Ramon hatte in den Jahren seiner Abwesenheit das Erbe ihrer Familie mit Weisheit und Stärke geführt. Die Burg erhob sich nun vor ihnen, stolz über dem See thronend, die alten Steine von Wind und Wasser geglättet, aber immer noch stark und mächtig. Das Wappen der du Lacs – ein geteilter Schild mit drei roten diagonalen Balken auf weißem Grund auf der linken Seite und einem schwarzen Ritter zu Pferd mit erhobener Lanze auf goldenem Grund auf der rechten Seite – flatterte im Wind, ein Symbol für Ehre und Tapferkeit.
„Das ist es“, sagte Aramis schließlich, als die Tore der Burg in Sicht kamen. „Das ist, was immer in meinem Herzen war, selbst in den fernsten Winkeln der Welt. Heimat.“
Étienne nickte andächtig, überwältigt von der Pracht der Burg, die sich vor ihnen erstreckte. Die alte Feste, umgeben von glitzerndem Wasser, war nicht nur ein Bollwerk, sondern ein Zuhause, ein Ort der Geschichte und der Ehre.
Am Tor stand Jacques Moreau, der treue Diener der Familie, der Aramis’ Abwesenheit ebenso überdauert hatte wie die Mauern der Burg. Sein Gesicht war gezeichnet von den Jahren, doch als er Aramis erblickte, breitete sich ein freudiges Lächeln über seine Züge.
„Willkommen zu Hause, Chevalier du Lac“, sagte Jacques, seine Stimme warm und herzlich, als wäre nie ein Tag vergangen, seit Aramis aufgebrochen war.
Aramis sprang von Berek herab, klopfte dem alten Krieger freundschaftlich auf die Schulter und erwiderte das Lächeln. „Es ist gut, wieder hier zu sein, Jacques. Sehr gut.“
Jacques‘ Augen glitzerten vor Freude. „Wir haben Euch vermisst. Die Burg hat Euch vermisst. Es wird eine Feier geben, wie es sich gehört – Euer Bruder hat alles vorbereitet.“
Aramis lachte leise und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Ramon sich irgendein Detail der Willkommensfeier gekümmert hatte.
„Dann lasst uns heimkehren“, sagte Aramis und trat durch die Tore seiner Kindheit, das sanfte Rauschen des Windes im Olivenhain wie eine leise Melodie, die ihm ein Versprechen von Frieden und Freude ins Ohr flüsterte.
Als Aramis durch die Tore der Burg trat, umfing ihn sofort eine Welle der Wärme und Vertrautheit. Die hohen Steinwände von Avallach, die ihn als Kind geschützt und als junger Mann inspiriert hatten, begrüßten ihn nun wie einen alten Freund. Die Abendsonne strömte durch die Buntglasfenster der Burg und tauchte den Eingangshof in ein goldenes Licht, während Diener herbeieilten, um ihn und Étienne zu empfangen. Sie nahmen seine Rüstung und die Zügel von Berek, doch Aramis’ Aufmerksamkeit galt bereits der großen Halle, aus der Stimmen und Gelächter drangen.
Dort, in der Mitte des Geschehens, stand Ramon, Graf von Avallach. Sein älterer Bruder, groß und imposant wie eh und je, mit dem gleichen breiten Lächeln, das Aramis in all den Jahren nicht vergessen hatte. Ramons dunkles Haar war von einzelnen silbernen Strähnen durchzogen, doch seine Augen leuchteten noch immer voller Kraft und Freude.
„Aramis!“ rief Ramon mit einer tiefen, herzlichen Stimme und trat mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. „Mein Bruder, endlich bist du wieder daheim!“
Aramis lächelte und ging auf Ramon zu. Die Umarmung der beiden Brüder war fest und innig, als hätten die Jahre der Trennung nichts an der Verbundenheit zwischen ihnen geändert. Ramon hielt ihn für einen Moment länger, als es üblich war, und als er Aramis losließ, schimmerte in seinen Augen eine tiefe Erleichterung und Freude.
„Es fühlt sich gut an, wieder hier zu sein, Ramon“, sagte Aramis mit aufrichtiger Stimme.
„Und es ist gut, dich hier zu haben“, entgegnete Ramon und legte ihm eine Hand auf die Schulter, „Komm, die ganze Familie wartet.“
Die große Halle war mit Festlichkeit erfüllt, seine Familie hatten keine Mühe gescheut, Aramis gebührend zu empfangen. Die langen Tafeln waren reich gedeckt, frisches Brot, gebratene Wildschweine, Schüsseln mit duftenden Früchten, und Krüge mit dunklem, aromatischem Wein standen bereit – ein Wein, den sein Cousin Francois du Lac in den eigenen Weinbergen hergestellt hatte. Der Geschmack war vollmundig und von einer Tiefe, die nur die besten Trauben Toussaints erreichen konnten.
Sobald Aramis die Halle betrat, erhob sich ein Jubel. Seine Schwestern Amelie, Sophie und Emilia kamen mit fröhlichem Lachen auf ihn zugestürzt. Amelie, die älteste von ihnen, elegant und würdevoll wie immer, umarmte ihn als Erste, während Sophie, stets die Ausgelassenere, ihm eine spielerische Ohrfeige verpasste. „Hast du uns lange genug warten lassen, Bruder“, lachte sie. Emilia, die Jüngste, zögerte nur kurz, bevor auch sie sich in seine Arme warf.
„Ihr habt euch kaum verändert“, sagte Aramis lächelnd, während er jede von ihnen ansah.
„Vielleicht äußerlich“, neckte Sophie, „aber warte nur ab, bis du hörst, was alles passiert ist, während du dich durch die Wildnis geschlagen hast!“
Amelie, die stets die vernünftigste war, fügte hinzu: „Wir sind einfach nur froh, dass du gesund und wohlbehalten zurückgekehrt bist.“
Am Ende der Halle stand Guillaume Robert du Bois, der alte Jugendfreund und nun Haushofmeister der Burg, mit einem breiten Lächeln. Guillaume hatte die gleichen freundlichen Augen wie früher, doch die Jahre hatten ihm etwas mehr Fülle und ein paar Falten gebracht. Als Aramis auf ihn zuging, breitete Guillaume die Arme aus.
„Aramis! Du bist nicht nur ein Held der Ferne, du bist unser Held!“
Aramis lachte herzhaft und umarmte ihn. „Guillaume, du hast dich nicht verändert. Ich wette, du bist immer noch der beste Erzähler in der ganzen Grafschaft.“
„Nun ja, jemand muss den jungen Leuten beibringen, wie die Welt funktioniert“, antwortete Guillaume mit einem verschmitzten Grinsen. „Und wer könnte das besser als ich?“
Die Feierlichkeiten nahmen ihren Lauf, und es wurde getrunken, gelacht und geredet, bis die Nacht über die Burg hereinbrach. Ramon erhob schließlich einen Kelch und sprach in die festliche Runde: „Heute feiern wir nicht nur die Rückkehr meines Bruders, sondern auch die Stärke und die Beständigkeit unserer Familie. Aramis, dein Platz war immer hier bei uns, und jetzt, wo du zurückgekehrt bist, wird Avallach noch heller leuchten. Zum Wohl!“
Die Menge stimmte ein, und Aramis, überwältigt von der Herzlichkeit, erhob ebenfalls seinen Kelch. Der Wein von Francois, schwer und süß, rann seine Kehle hinunter, und für einen Moment fühlte sich Aramis angekommen.
Als das Fest weiterging, schien die Zeit stillzustehen. Aramis sah sich um und erkannte, dass trotz aller Abenteuer, die er in der weiten Welt erlebt hatte, der wahre Schatz seines Lebens immer hier in Avallach gelegen hatte – bei seiner Familie, seinen Freunden und in der Heimat, die ihm nun wieder in vollen Zügen gehörte.
Die Woche nach Aramis‘ Rückkehr verging in einer wohligen Mischung aus Ruhe, Wiedersehen und gemeinsamen Erlebnissen, wie sie der Ritter seit Jahren nicht mehr gekannt hatte. Das Leben in Avallach war friedlich und ruhig, eine willkommene Abwechslung zu den Strapazen seiner Reisen und Kämpfe.
Am Morgen des ersten Tages erwachte Aramis früh, noch bevor die Sonne die Hügel der du Lac-Ländereien vollständig erleuchtet hatte. Er stand auf dem schmalen Balkon seiner Kammer und blickte über den glitzernden See, der sich ruhig um die alte Burg schmiegte. Die Stille des Morgens wurde nur vom gelegentlichen Plätschern des Wassers unterbrochen, und die Kühle der Luft fühlte sich erfrischend an, wie eine sanfte Erinnerung daran, dass er wieder zu Hause war. Neben ihm trat Étienne auf die Terrasse, seine Augen weit aufgerissen vor Bewunderung.
„Es ist noch schöner, als ich es mir vorgestellt habe“, sagte der junge Knappe ehrfürchtig.
„Ja“, stimmte Aramis zu. „Und es gibt keinen besseren Ort, um sich zu erholen.“
Die Tage in Avallach waren erfüllt von einfachen Freuden. Zusammen mit seinen Schwestern Amelie, Sophie und Emilia durchstreifte Aramis die alten Wälder, die die Ländereien umgaben. Sie sammelten wilde Beeren, lachten über Geschichten aus ihrer Kindheit und sprachen über die Jahre, die vergangen waren, seit sie ihn zuletzt gesehen hatten. Seine Schwestern waren stolz darauf, dass Aramis so weit gereist war und viele Abenteuer erlebt hatte, doch sie freuten sich am meisten darüber, dass er nun wieder bei ihnen war.
An einem Nachmittag besuchten Aramis und Étienne den nahegelegenen Olivenhain, der sich wie ein smaragdgrüner Teppich über den Hügel zog. Dort trafen sie auf Jaques, dessen Familie seit Generationen ihr Anwesen beim Olivenhain hatten und diesen bewirtschafteten. Jaques begrüßte ihn mit einem breiten Lächeln und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Du hast es weit gebracht, Aramis“, sagte er, während er die Oliven in seiner Hand in einen Korb packte. „Aber ich wusste immer, dass du eines Tages zurückkommen würdest. Solche Wurzeln lassen sich nicht so leicht abschütteln.“
Aramis lachte und erwiderte: „Es fühlt sich gut an, wieder auf heimischem Boden zu stehen.“
Die Abende in Avallach waren ein Fest für die Sinne. Nach dem Abendessen in der großen Halle versammelten sich die Familie und Freunde oft am Kaminfeuer. Hier, in der Behaglichkeit des flackernden Lichts, erzählte Aramis von seinen Abenteuern – von den gefährlichen Bestien im Süden, den zwielichtigen Adligen, die er traf, und den fernen Städten, deren Namen nur wenige in Toussaint kannten. Étienne, der stets an seiner Seite gewesen war, ergänzte die Geschichten mit jugendlicher Begeisterung und füllte die Räume mit Gelächter, wenn er die ein oder andere waghalsige Anekdote ausschmückte.
Guillaume, der Haushofmeister, lauschte besonders aufmerksam, wobei seine Augen immer wieder von Freude und Neugier blitzten. Er konnte es nicht lassen, seine eigene Sicht auf die Dinge hinzuzufügen. „Du warst schon immer unvernünftig“, sagte er einmal mit einem Lächeln. „Aber genau das hat dich ausgemacht, Aramis. Du bist dem Ruf des Abenteuers gefolgt, als alle anderen gezögert haben.“
Doch nicht nur Aramis erzählte. Auch die Menschen von Avallach hatten Geschichten zu berichten. Ramon, sein Bruder, sprach von der Leitung der Grafschaft und den Herausforderungen, denen er in den letzten Jahren gegenüberstand. Amelie berichtete von ihren Aufgaben als Verwalterin der Ländereien, während Sophie und Emilia lebhafte Berichte über die Feste und Ereignisse im Herzen von Beauclair zum Besten gaben.
An einem besonders sonnigen Nachmittag besuchten Aramis und Étienne Francois, den Cousin, der unweit von Avallach ein kleines Weingut betrieb. Francois, ein geselliger Mann mit einem ansteckenden Lachen, empfing sie mit offenen Armen und führte sie durch die Reihen der Reben, die unter der warmen Sonne reiften.
„Dieser Jahrgang wird ein besonderer sein“, verkündete Francois stolz und reichte Aramis und Étienne einen Kelch mit rotem Wein. „Aber nichts ist besser als der Wein, den man mit Familie und Freunden trinkt.“
Sie verbrachten den Nachmittag bei Francois, der nicht nur vom Weinanbau, sondern auch von seinen eigenen kleinen Abenteuern in Toussaint erzählte. Während sie in der späten Nachmittagssonne saßen und den frischen, kühlen Wein genossen, fühlte sich Aramis mehr denn je mit seinen Wurzeln verbunden.
Die Woche verging wie im Flug, erfüllt von Freude, Ruhe und dem Lachen seiner Liebsten. Die Abende am See, die langen Gespräche und das Gefühl, wieder ein Teil des Lebens in Avallach zu sein, heilten Wunden, die der Kampf und die Jahre der Abwesenheit hinterlassen hatten.
Der Bote
Zwei Wochen der Ruhe waren vergangen, seit Aramis du Lac in den Schoß seiner Familie zurückgekehrt war. Die Tage hatten ihm und seinem jungen Knappen Étienne Erholung und Freude gebracht, die sie lange entbehrt hatten. Doch während die Sonne über den stillen Wassern des Sees von Avallach schimmerte und der Duft des Olivenhains die Luft erfüllte, sollte diese Idylle bald durch düstere Nachrichten gestört werden.
Es war am Morgen des fünfzehnten Tages, als Aramis in der großen Halle des Familiensitzes saß, einen Becher Wein in der Hand, während das warme Licht des frühen Tages durch die Fenster fiel. Die Bediensteten waren dabei, das Frühstück zu richten, während Étienne sich gerade mit Guillaume Robert, dem Haushofmeister, über die bevorstehenden Arbeiten in den Wäldern unterhielt.
Plötzlich stürmte ein Bote durch die schweren Eichenholztüren der Halle, seine Kleidung von Staub und Schweiß bedeckt, sein Gesicht gezeichnet von der eiligen Reise. Aramis hob den Blick, und sofort wurde es still im Raum.
„Chevalier du Lac“, rief der Bote keuchend und verbeugte sich hastig. „Eine Nachricht aus Beauclair. Sie kommt direkt von der Herzogin Anna Henrietta.“
Aramis erhob sich, seine Stirn legte sich in Falten. Die Herzogin von Toussaint war bekannt für ihre ruhige und besonnene Art, doch wenn sie in solch einer Dringlichkeit einen Boten entsandte, musste etwas Schwerwiegendes geschehen sein. Er nahm die versiegelte Pergamentrolle entgegen, auf der das Wappen der Herzogin prangte: das rote, steigende Pferd auf schwarzem Grund, ein Symbol der Kraft und Unabhängigkeit.
„Was ist passiert?“ fragte Ramon, der ebenfalls neugierig aufgestanden war und neben seinem Bruder trat.
Aramis öffnete das Siegel vorsichtig und entrollte die Nachricht. Seine Augen glitten über die sorgsam geschriebenen Zeilen, und je weiter er las, desto schwerer wurde seine Miene. Schließlich reichte er das Pergament wortlos an seinen Bruder weiter und trat an das offene Fenster, während er tief Luft holte.
„Ein Krieg…“, murmelte er, während der sanfte Wind vom See her über sein Gesicht strich. „Ein zweiter Krieg mit dem Norden ist ausgebrochen.“
Ramon las die Nachricht aufmerksam, seine Stirn ebenso in Sorgenfalten gelegt wie die seines Bruders. „Die Kaiserlichen haben den Krieg gegen die nördlichen Königreiche erneut begonnen“, sagte er leise und blickte auf. „Und es scheint, als könne sich Toussaint diesmal nicht gänzlich aus dem Konflikt heraushalten.“
Die Nachricht war eindeutig. Kaiser Emhyr var Emreis, der Herrscher des nilfgaardischen Kaiserreichs und Cousin von Herzogin Anna Henrietta, hatte den zweiten Krieg gegen die Königreiche des Nordens erklärt. Der erste Krieg, der einige Jahre zuvor in einem fragilen Waffenstillstand geendet hatte, war nie wirklich vorbei gewesen. Nun jedoch hatten die Spannungen ihren Höhepunkt erreicht. Nilfgaard hatte die Armeen erneut versammelt und marschierte in den Norden.
Anna Henrietta, als Herzogin von Toussaint, blieb zwar politisch unabhängig, doch als Provinz des Kaiserreichs würde auch sie ihren Teil zu dem Krieg beisteuern müssen. Die Nachricht machte deutlich, dass einige Ritter Toussaints aufgerufen wurden, sich nach Beauclair zu begeben, um die Situation mit der Herzogin zu besprechen.
Étienne, der die ernsten Gesichter seiner Herren beobachtet hatte, trat nun näher und fragte mit unsicherer Stimme: „Was bedeutet das für uns, Herr?“
Aramis drehte sich langsam um, sein Blick war ernst, doch in seinen Augen blitzte die Entschlossenheit eines Mannes, der schon viele Schlachten gesehen hatte. „Es bedeutet, dass unsere Zeit der Ruhe vorbei ist, Étienne.“
Aramis ließ den Blick über die vertrauten Gesichter seiner Familie schweifen. Es war nicht das erste Mal, dass er aufbrechen musste, um sich dem Ruf der Pflicht zu stellen. Doch Krieg fühlte sich anders an. Es war nicht die Queste eines einzelnen noblen Ritter, sondern der Beginn eines Konflikts, der das Schicksal von Toussaint selbst beeinflussen konnte.
„Wir werden nach Beauclair aufbrechen“, sagte Aramis schließlich und sah Étienne fest an. „Die Herzogin erwartet uns, und wir dürfen nicht zögern.“
Étienne nickte, seine Augen leuchteten vor Aufregung. „Ich werde die Pferde vorbereiten, Herr.“
„Gut“, antwortete Aramis, bevor er sich wieder an seinen Bruder wandte. „Ramon, ich weiß, dass du hierbleiben musst, um Avallach und unsere Ländereien zu führen. Ich werde die Ehre unserer Familie in Beauclair vertreten.“
Ramon legte eine Hand auf Aramis‘ Schulter, sein Blick voller Respekt und Brüderlichkeit. „Ich wünschte, dass dieser Tag nicht gekommen wäre, Bruder. Aber Toussaint braucht Ritter wie dich. Möge dein Weg sicher sein, und möge die Herrin vom See dich leiten.“
Aramis neigte leicht den Kopf und wandte sich dann ab. Die frische Brise vom See trug das leise Flüstern des bevorstehenden Sturms mit sich.
Beauclair
Aramis und Étienne ritten im zügigen Tempo nach Beauclair, der schillernden Hauptstadt von Toussaint. Die Morgensonne tauchte die Landschaft in goldenes Licht, als sie von den Hügeln herab das erste Mal einen Blick auf die Stadt erhaschten. Beauclair, so prachtvoll wie in allen Erzählungen, erstreckte sich vor ihnen wie eine farbenfrohe Leinwand. Weiße Marmorgebäude erhoben sich stolz in den Himmel, ihre roten und goldenen Dächer leuchteten in der Sonne, und umgeben war alles von weiten Weinbergen und blühenden Gärten, die der Stadt einen fast unwirklichen Zauber verliehen.
„Beauclair“, flüsterte Étienne ehrfürchtig, als sie näherkamen. „Es ist wahrhaft so prächtig, wie man es sich erzählt.“
Aramis konnte nicht anders als zu lächeln. Trotz all der Länder, die er gesehen hatte, behielt Beauclair seinen unvergleichlichen Glanz. Die Schönheit der Stadt lag nicht nur in ihrer Architektur, sondern auch in der Lebensfreude, die überall zu spüren war. Die Straßen waren gesäumt von Händlern, Musikern und Handwerkern. Frauen in bunten Kleidern und Männer mit bestickten Wämsern schlenderten entlang der Pflastersteine, während Kutschen mit prunkvollen Wappen lautlos vorüberrollten. Überall summte das Leben.
„Hier fließt der Wein wie Wasser, und die Kunst ist das Blut dieser Stadt“, sagte Aramis.
Sie ritten auf die majestätische Brücke zu, die über einen glitzernden Fluss führte und direkt zum Palast der Herzogin Anna Henrietta führte. Der Palast selbst war eine atemberaubende Mischung aus Eleganz und Macht. Weiße Türme mit goldenen Kuppeln ragten in den Himmel, während kunstvoll verzierte Fassaden von Künstlern und Bildhauern der letzten Jahrhunderte die Mauern schmückten. Überall prangten bunte Glasfenster, die im Sonnenlicht wie Edelsteine funkelten. Im Herzen des Palastes lag der riesige Innenhof, aus dem prachtvolle Gärten hervorgingen, die das Anwesen in einen lebenden Traum verwandelten.
Aramis und Étienne wurden von den herzoglichen Wachen empfangen. Diese neigten respektvoll den Kopf, als sie Aramis und Étienne in das Innere des Palastes führten. Sie durchquerten prachtvolle Hallen, deren Marmorböden mit kunstvollen Mosaiken geschmückt waren, bevor sie in die Gärten geführt wurden.
Dort, zwischen blühenden Rosensträuchern und duftendem Lavendel, wartete Herzogin Anna Henrietta persönlich. Ihr Haar war wie flüssiges Gold, das in kunstvollen Locken um ihr Gesicht fiel, und sie trug ein schlichtes, aber elegantes Kleid aus tiefrotem Samt, dass ihre Anmut unterstrich. Ihre Präsenz war beeindruckend – stark und doch warm, mit einer Aura von Autorität, die nicht erzwungen, sondern verdient war. Als sie Aramis erblickte, trat ein Lächeln auf ihr Gesicht, und sie kam ihm entgegen.
„Chevalier Aramis du Lac“, begrüßte sie ihn, ihre Stimme weich und doch von königlicher Stärke durchzogen. „Es ist eine Freude, einen so tapferen Ritter aus einer der ältesten Familien Toussaints hier zu empfangen.“
Aramis kniete kurz nieder, ein Zeichen des Respekts, bevor er wieder aufstand. „Die Freude ist ganz meinerseits, Hoheit. Toussaint ist ein Ort, an dem mein Herz immer ruhte, auch während meiner weitesten Reisen.“
Anna Henrietta winkte ihm, ihr zu folgen, und gemeinsam schlenderten sie durch die üppigen Gärten. Étienne hielt sich respektvoll im Hintergrund, seine Augen jedoch weit aufgerissen vor Staunen über die Schönheit des Ortes.
„Erzählt mir von euren Reisen, Chevalier“, bat die Herzogin, während sie an einer Mauer aus duftenden Rosen entlangging. „Es heißt, Ihr habt ferne Länder gesehen und Prüfungen bestanden, die viele Männer in die Knie gezwungen hätten.“
Aramis begann, einige Geschichten seiner Abenteuer zu erzählen. Von den fremden Fürsten des Südens, die ihn in goldverzierte Paläste eingeladen hatten, von Bestien, die in den wilden Wäldern des Südens hausten, und von den Menschen, denen er geholfen hatte. Doch er wählte seine Worte weise. Es war nicht der Kampf, der ihn prägte, sondern die Entdeckungen, die Freundschaften und die Lektionen, die er auf seinem Weg gelernt hatte.
Anna Henrietta hörte aufmerksam zu, hin und wieder nickend oder eine Frage stellend, um mehr Details zu erfahren. Ihre Augen glitzerten bei jeder spannenden Episode, und ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen, wenn Aramis von den ruhigeren Momenten sprach, von den einfachen Freuden, die er in den entlegensten Winkeln der Welt gefunden hatte.
„Ihr seid wahrhaft ein Ritter Toussaints“, sagte sie schließlich. „Stets auf der Suche nach Ehre, doch auch im Herzen ein Mann, der die Schönheit und das Leben zu schätzen weiß. Ich bin froh, dass Ihr zurückgekehrt seid, denn die Zeiten fordern Männer wie Euch.“
Aramis neigte leicht den Kopf, doch bevor er etwas erwidern konnte, trat ein Diener an die Herzogin heran und verneigte sich tief. „Hoheit, die Versammlung im Thronsaal ist bereit. Die Ritter und Gesandten sind eingetroffen.“
Anna Henrietta wandte sich an Aramis. „Es wird Zeit, dass wir uns der größeren Sache zuwenden. Der Thronsaal erwartet uns.“
Die Herzogin führte Aramis und Étienne durch die gewundenen Flure des Palastes, bis sie vor den gewaltigen Türen des Thronsaals standen. Die Türen wurden geöffnet, und Aramis folgte der Herzogin mit respektvollem Abstand in den Saal. Der Thronsaal war eine majestätische Halle, deren Wände mit Fresken verziert waren, die die glorreiche Geschichte Toussaints erzählten.
Ritter, Edelleute und Gesandte aus allen Teilen von Toussaint hatten sich versammelt. Sie alle warteten darauf, dass die Herzogin den Thron bestieg, um den Beginn der Versammlung zu verkünden. Aramis fühlte das Gewicht des Augenblicks, als er sich an seinen Platz begab.
Während Anna Henrietta auf ihrem Thron Platz nahm, fühlte Aramis, dass die Ruhe und Schönheit der letzten Woche nun einer neuen Realität wichen.
Die Versammlung
Die Herzogin Anna Henrietta erhob sich von ihrem Thron und ließ ihren Blick über die versammelten Ritter und Edelleute schweifen. Eine feierliche Stille legte sich über den Thronsaal, als sie sprach, ihre Stimme fest, aber warm, wie es für eine Herrscherin ihres Ranges und ihrer Weisheit angemessen war.
„Toussaint, meine geliebte Heimat, mag keine große Armee haben, keine Legionen von Soldaten, die unter unseren Bannern marschieren. Aber wir haben etwas weit Kostbareres: Ritter, die durch Mut, Ehre und unvergleichlichen Kampfgeist hervorragen. Der Krieg im Norden fordert nun auch uns, wenn auch nicht mit Waffen und Blut, so doch mit einem Symbol. Ein Zeichen der Loyalität gegenüber dem Kaiser, meiner Familie und dem Erbe, das wir teilen.“
Sie machte eine kurze Pause, um sicherzustellen, dass jeder im Raum das Gewicht ihrer Worte verstand. Die Ritter wussten, dass Toussaint stets eine Oase des Friedens und der Schönheit gewesen war. Doch jetzt, in diesen Zeiten des Krieges, musste auch dieses Paradies seine Verpflichtungen gegenüber dem Kaiserreich erfüllen.
„Ich habe entschieden, dass wir zwölf unserer besten Ritter entsenden werden,“ verkündete Anna Henrietta. „Die Zahl zwölf ist eine symbolische Zahl, eine Zahl die für Vollständigkeit, Ordnung, Balance und Harmonie steht! Die fünf edlen Tugenden eines Ritters: Tapferkeit, Weisheit, Gerechtigkeit, Mitgefühl und Loyalität werden durch jeden von euch, der zu den Auserwählten gehört, in höchsten Maßen verkörpert. Ihr seid das Gesicht Toussaints, das wir in den Norden schicken.“
Aramis, der neben Étienne stand, spürte die Last dieses Augenblicks. Zwölf Ritter – nicht viele in der Zahl, aber mächtig im Ansehen. Die Ritter Toussaints waren berühmt für ihre Fähigkeiten, ihren Mut und ihre Disziplin, und es war ein Zeichen größter Ehre, zu dieser erlesenen Gruppe zu gehören.
„Wie es unsere Tradition gebietet, werdet ihr in einem Rat über euer Vorgehen entscheiden. Jeder von euch ist gleichgestellt, ein Ritter, der für Ehre und Pflicht kämpft. Ihr werdet die besten Entscheidungen treffen, indem ihr aufeinander hört und gemeinsam das Richtige tut.“ Fuhr die Herzogin fort
Anna Henriettas Augen suchten jene im Saal, die sie persönlich ausgewählt hatte. Zu diesen gehörte Justine Véronique de Renarde, eine der ersten Knappinnen, die Aramis selbst ausgebildet hatte. Justine, eine hochgewachsene Frau mit kühler Entschlossenheit und scharfem Verstand, trug ihre Rüstung mit Stolz. Ihr rotes Haar schimmerte im Licht des Thronsaals. Aramis konnte sich keinen besseren Vertreter Toussaints vorstellen – Justine war tapfer, ein strategisches Genie und loyal.
Neben Justine stand Chevalier Gauvain des Sancerres, einer der engsten Freunde von Aramis. Gauvain, ein großer Mann mit braungebrannter Haut und wachsamen Augen, war in der Kunst des Schwertkampfes ebenso versiert wie in der Diplomatie. Seine ruhige, nachdenkliche Art machte ihn zu einem unentbehrlichen Berater, und sein Mut im Angesicht des Feindes war unbestritten.
Die Herzogin sah auch diese beiden an, ihre Augen verweilten einen Moment länger bei Justine, bevor sie sich an die gesamte Gruppe wandte. „Jeder von euch hat bereits viel für Toussaint getan, und jetzt fordere ich euch auf, mehr zu tun. Tragt unsere Farben, verteidigt unsere Ehre und zeigt der Welt, dass wir trotz unserer Ruhe und Schönheit eine Kraft sind, mit der man rechnen muss.“
Aramis stand aufrecht, sein Blick auf die Herzogin gerichtet, doch er spürte die Blicke von Justine und Gauvain auf sich. Es war ein stilles Band der Kameradschaft, das sie alle vereinte – sie hatten in der Vergangenheit bereits gemeinsam gekämpft, gelitten und triumphiert. Nun würde es erneut an ihnen liegen, die Ehre Toussaints in einer Welt zu verteidigen, die von Krieg und Chaos ergriffen war.
Étienne, der aufmerksam neben Aramis stand, konnte die Mischung aus Stolz und Erwartung in der Luft spüren. Als Knappe wusste er, dass diese Versammlung nicht nur ein politisches Signal war, sondern auch eine Prüfung für die Ritter Toussaints. Er wusste, dass sie in den kommenden Monaten die Härte des Krieges erfahren würde, doch er war entschlossen, an der Seite seines Herren zu stehen.
„Die versammelten Ritter mögen sich vorbereiten“, schloss Anna Henrietta und hob leicht ihre Hand, um die Versammlung zu beenden. „Der Rat möge sich nach der Zeremonie treffen, um die weiteren Schritte zu besprechen. Möge die Herrin vom See euch auf diesem Weg leiten.“
Mit diesen Worten wurde die Versammlung entlassen, und der Thronsaal begann sich langsam zu leeren. Aramis ging auf Justine und Gauvain zu, seine Schritte fest, aber gelassen. Es war Zeit, alte Freundschaften wieder aufleben zu lassen und Pläne für die bevorstehende Aufgabe zu schmieden. Der Krieg rief, und Toussaint würde mit Stolz antworten.
Der Rat der Ritter
In einem der Nebenräume des Palastes von Beauclair, weit entfernt vom prunkvollen Thronsaal, hatte sich der Rat der Zwölf versammelt. Das Sonnenlicht fiel durch hohe, bunte Fenster und tauchte den Raum in ein sanftes Licht. Der Tisch in der Mitte war aus dunklem Holz und von alter Handwerkskunst. Aramis nahm zwischen Justine und Gauvain Platz und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen.
Die Atmosphäre war angespannt und von einer gewissen Schwere geprägt. Sie hatten keine Armee im Rücken, keine militärische Struktur, die ihnen klare Befehle vorgab. Stattdessen würde es an ihnen liegen, jeden Schritt gemeinsam zu planen und in Einheit zu handeln.
Justine ergriff als erste das Wort. Ihre Stimme war ruhig, doch von Entschlossenheit durchdrungen: „Dieser Krieg ist keine Quest, er verlangt nicht nur Kampfesmut, sondern auch Geschick in der Führung und Logistik. Wir müssen uns vorbereiten, bevor wir aufbrechen.“
Aramis nickte zustimmend. „Du hast Recht, Justine. Wir können nicht nur mit unseren Knappen losziehen, wir werden Unterstützung brauchen – fähige Frauen und Männer, die uns als Soldaten dienen … Handwerker, die unsere Ausrüstung und das Lager in Stand halten … und Heiler, die sich um die Verwundeten kümmern.“
Chevalier Gauvain lehnte sich vor, seine Augen fest auf Aramis gerichtet. „Ich habe einige gute Knechte, Jäger und Handwerker in Sancerres, nicht viele, aber mit dem Herzen am rechten Fleck! Ich brauche eine Woche um meine Leute zu mobilisieren!“
Ein Murmeln ging durch den Raum. Einige der anderen Ritter nickten zustimmend, und einer von ihnen, Chevalier Pierre d’Auvignac, ein erfahrener Kämpfer mit Narben aus vergangenen Schlachten, meldete sich zu Wort. „Ich werde aus meinem Lehen im Westen einige meiner besten Reiter mitbringen. Sie sind nicht viele, aber sie wissen, wie man schnell und präzise zuschlägt. Leichte Kavallerie wird im Norden von unschätzbarem Wert sein.“
„Ich werde nach Avallach zurückkehren“, sagte Aramis mit ruhiger Stimme. „Dort werde ich Jacques Moreau und einige der besten Männer meiner Ländereien zusammentrommeln. Sie sind nicht kampferprobt, aber sie kennen sich zu Pferd aus, und mit etwas Übung werden sie eine wertvolle Unterstützung sein. Zudem werde ich einen Zimmermann und eine Heilerin mitbringen, die uns in jeder Lage helfen können.“
Der Vorschlag wurde mit zustimmenden Blicken bedacht.
Justine, die Aramis lange kannte, sah ihn an und lächelte leicht. „Ich freue mich darauf, mit dir Seite an Seite zu kämpfen, Aramis. Wir haben viel vor uns, und ich bin froh, dich auf dieser Reise dabei zu haben.“
„Die Ehre ist ganz meinerseits, Justine“, antwortete Aramis mit einem ebenso leichten Lächeln. „Wir haben beide viel erlebt, seit wir das letzte Mal zusammen unterwegs waren.“
„Gut“, sagte Gauvain schließlich und stand auf. „Dann sind wir uns einig. Jeder kehrt in sein Lehen zurück und sammelt seine Truppen. In einer Woche treffen wir uns hier, in Beauclair. Bereit für das, was der Norden uns bringen mag.“
Die Versammlung löste sich langsam auf, und die Ritter verließen den Raum, um ihre Vorbereitungen zu treffen.
Aramis und Étienne verließen den Palast und machten sich auf den Weg zurück nach Avallach, um ihre eigenen Vorbereitungen zu treffen. Der zweite nördliche Krieg rief, und sie würden ihm mit allem, was sie hatten, entgegentreten.
Vorbereitungen
Aramis und Étienne kehrten nach dem Rat der Ritter voller Entschlossenheit nach Avallach zurück. Der Weg führte sie erneut durch die sanften Hügel und entlang der kleinen Wälder, die das Land von Aramis Vorvätern prägten. Doch diesmal war die Stimmung anders. Es lag eine Dringlichkeit in der Luft, eine Vorahnung von den Herausforderungen, die vor ihnen lagen. Als sie die vertrauten Ufer des Sees erreichten und die Stammburg der du Lacs über dem Wasser thronen sahen, wusste Aramis, dass dies wohl das letzte Mal für eine lange Zeit war, dass er die friedliche Stille seiner Heimat spüren würde.
Jacques Moreau erwartete sie bereits, als sie die Landzunge zur Burg überquerten. Der Veteran stand, wie so oft, mit festem Blick und einer Ruhe, die er aus den vielen Schlachten seines Lebens gewonnen hatte. Er nickte Aramis zu, als dieser von seinem Schimmel Berek abstieg.
„Ihr habt Eile in den Augen, Chevalier du Lac“, sagte Jacques, als Aramis näherkam. „Die Vorzeichen des Krieges liegen über euch.“
Aramis lächelte matt und klopfte Jacques freundschaftlich auf die Schulter. „Die Zeit der Ruhe ist vorbei, mein alter Freund. Wir brauchen Männer, die uns begleiten, und wir brauchen sie schnell. Ich werde zum Kaiserreich aufbrechen, und ich möchte, dass du an meiner Seite kämpfst.“
Jacques‘ Augenbrauen hoben sich leicht, doch ein stolzes Funkeln trat in seinen Blick. „Es wäre mir eine Ehre!“
„Wir haben nicht viel Zeit“, fuhr Aramis fort. „Ich möchte die geeignetsten Männer aus unseren Ländereien versammeln. Ich weiß wir haben hier keine Soldaten, aber einige die in der Dorfmiliz dienen und als Wachen bei meinem Bruder. Mit deiner Erfahrung wirst du sie zu brauchbaren Soldaten machen. Zudem brauchen wir Handwerker … einen Zimmermann und jemand, der sich mit Heilkunde auskennt … wir müssen auf jede Eventualität vorbereitet sein.“
Jacques nickte, sein Blick wanderte kurz in die Ferne. „Mir fallen da sofort einige Männer ein. Sie sind zuverlässig, und mit ein wenig Ausbildung werden sie mehr als fähig sein. Gebt mir zwei Tage, und ich werde euch die besten Leute versammeln.“
Während Jacques sich aufmachte, die Männer der Ländereien zu rekrutieren, begab sich Aramis in die Burg, um seine eigene Ausrüstung vorzubereiten. Étienne folgte ihm dicht auf den Fersen, bereit, jede Anweisung auszuführen, die sein Meister ihm gab. Die Waffenkammer der Burg war alt, doch gut bestückt und gepflegt. Schwerter, Lanzen und Schilde hingen ordentlich an den Wänden, und Aramis wählte mit Bedacht die Waffen aus, die er mitnehmen wollte. Sein altes Langschwert, das er auf vielen Reisen geführt hatte, glänzte im schwachen Licht des Raumes, und die Lanze, die ihm auf den Turnieren in Beauclair Ruhm eingebracht hatte, lag schwer in seiner Hand.
„Es fühlt sich an, als ob sich alles verändert hat, und doch ist vieles gleich geblieben“, murmelte Aramis mehr zu sich selbst, während er eine der schweren Rüstungen begutachtete.
Étienne beobachtete ihn und sprach leise: „Die Welt verändert sich immer, Herr, aber hier in Avallach… hier bleibt immer ein Stück Beständigkeit.“
Aramis nickte, ein kleines Lächeln auf den Lippen. „Du hast recht, mein junger Freund!“
Zwei Tage später hatten Jacques und einige treue Diener der Burg die Männer und Frauen zusammengetrommelt, die Aramis begleiten würden. Es war keine große Gruppe, aber sie bestanden aus hart arbeitenden und zuverlässigen Menschen. Neben Jacques war da Alain, der Zimmermann, er war ein älterer, aber dennoch kräftiger Mann, der viele Häuser und Stallungen in den Ländereien errichtet hatte. Er würde sich um den Aufbau der Lager kümmern, wenn nötig. Und dann war da noch die junge Heilerin Madeleine, eine Frau von ruhiger Hand und klarem Verstand. Sie würde auf dem Feldzug von unschätzbarem Wert sein.
Die übrigen fünfzehn Männer, die Jacques rekrutiert hatte, waren einfache Bauern und Winzer aus den Ländereien der du Lacs. Sie hatten ihre Kampferfahrung gegen Wegelagerer, Räuber und in der Taverne gesammelt, doch Jacques hatte in den wenigen Tagen bereits begonnen, ihnen die Grundlagen des Reitens und des bewaffneten Kampfes beizubringen.
Als die kleine Truppe sich auf die Abreise vorbereitete, nahm Aramis sich einen Moment, um über das Dorf und den See zu blicken. Avallach, sein Heim, seine Wurzeln. Er wusste, dass er all das hinter sich lassen musste, um in den Krieg zu ziehen, doch ein Teil von ihm würde immer hierbleiben, im friedlichen Rauschen des Wassers und dem sanften Wiegen des Olivenhains.
Am Morgen des Aufbruchs war die Luft kühl und klar. Aramis, Jacques, Étienne und die kleine Schar von Männern versammelten sich an den Toren der Burg. Die Pferde waren bereit, die Waffen poliert und die Vorräte gepackt. Berek scharrte unruhig mit den Hufen, als ob auch er den bevorstehenden Weg spürte.
„Es ist Zeit“, sagte Aramis ruhig, während er sich in den Sattel schwang. „Lasst uns nach Beauclair zurückkehren und unsere Pflicht erfüllen.“
Sie zogen in einem stillen Marsch durch das Dorf. Die Dorfbewohner blickten ihnen nach, einige in Sorge, andere in Bewunderung.
Nach einem halben Tagesritt erreichten sie Beauclair, wo die Ritter Toussaints, wie vereinbart, sich sammelten. Die Straßen der Hauptstadt waren belebt, Menschen drängten sich auf den Marktplätzen, und die Türme des Palastes ragten wie Juwelen in der warmen Nachmittagssonne empor. Doch während des Lebens in der Stadt in seiner Pracht weiterging, rückte der Krieg für Aramis und seine Männer näher, und sie würden bald an die Front aufbrechen.
Der Auszug aus Beauclair
Der Tag des Aufbruchs war gekommen, und Beauclair erstrahlte in der vollen Pracht, die nur eine Stadt von solcher Schönheit und Eleganz hervorbringen konnte. Die Straßen waren gesäumt von Bürgern und Bauern, die aus den umliegenden Ländereien gekommen waren, um den stolzen Rittern ihre Ehre zu erweisen. Die Menschen hatten sich seit den frühen Morgenstunden versammelt, und nun füllten sie die Gassen mit erwartungsvollem Murmeln und dem Flattern von Bannern, die in der warmen Brise wehten. Die Sonne stand hoch am Himmel, ihr goldenes Licht fiel auf die Paläste und Türme der Stadt, die wie aus einem Traum entsprungen wirkten.
Auf dem großen Platz vor dem Palast der Herzogin, dessen Marmorsäulen und kunstvollen Verzierungen im Sonnenlicht funkelten, hatten sich die zwölf auserwählten Ritter und ihr Gefolge versammelt. Die Rüstung der Ritter glänzte im Sonnenlicht, ihre Wappen schimmerten in lebendigen Farben, und ihre Pferde schnaubten ungeduldig. Unter ihnen war Chevalier Aramis du Lac, hoch zu Ross, sein Blick fest auf die Zukunft gerichtet, sein Schwert an der Seite, bereit für das Kommende. Neben ihm ritt Étienne, der junge Knappe, dessen Augen voll Bewunderung auf das große Spektakel gerichtet waren.
Die Herzogin Anna Henrietta stand auf der großen Marmortreppe des Palastes, umgeben von ihrer Hofgesellschaft. Ihre Erscheinung war majestätisch, ihre Robe von tiefem Purpur mit goldenen Stickereien verziert, und ihr Wappen prangte stolz über ihrem Herzen. In ihrer Hand hielt sie das Zepter Toussaints, ein Symbol der Macht und des Friedens, das sie nun mit fester Hand hob, als die Menge verstummte.
Mit klarer, starker Stimme sprach die Herzogin zu den Rittern, ihren Worten haftete eine Würde und Weisheit an, die den tiefen Respekt ihres Volkes widerspiegelte. „Ritter Toussaints, ihr seid die Verkörperung unserer größten Tugenden. Ihr zieht hinaus, um an der Seite des Kaiserreichs zu kämpfen, doch euer Herz bleibt stets in Toussaint. Auch wenn wir keine große Armee besitzen, so beweisen eure Taten, dass die wahre Stärke nicht in der Anzahl der Kämpfer, sondern in der Reinheit ihrer Seelen liegt.“
Ihr Blick wanderte über die zwölf Ritter, die ihr Gefolge hinter sich versammelt hatten – Männer und Frauen, die bereit waren, mit ihnen in die Schlacht zu ziehen. Die Menge auf dem Platz lauschte in ehrfürchtigem Schweigen, die Spannung war greifbar. Anna Henrietta hob erneut ihre Stimme, die über den Platz hallte: „Euer Weg wird schwer, doch ihr werdet getragen von der Liebe und dem Stolz dieses Landes. Der Kaiser wird in euch sehen, was Toussaint ausmacht: Ein freies Volk, dessen Loyalität nicht erzwungen, sondern aus dem Herzen geboren ist.“
Die Menge brach in tosenden Jubel aus, als die Herzogin ihre Worte beendet hatte. Die Menschen riefen die Namen der Ritter, ihre Stimmen übertönten sogar das gelegentliche Wiehern der Pferde. Frauen und Kinder streuten Blumen auf den Weg, während die Ritter und ihr Gefolge sich formierten. Der Klang von Trommeln und Hörnern erfüllte die Luft, als die Prozession sich in Bewegung setzte.
Aramis fühlte das Gewicht der Verantwortung auf seinen Schultern, doch ebenso verspürte er eine tiefe Zuversicht. Dies war nicht nur ein militärischer Aufbruch, sondern ein symbolischer Akt, eine Botschaft an die Welt, dass Toussaint, mit Stolz und Würde in den Krieg zog.
Étienne ritt dicht an Aramis’ Seite, das junge Gesicht von einer Mischung aus Aufregung und Ehrfurcht erfüllt. „Es ist beeindruckend, Herr“, sagte er leise, während die Menschen ihnen zujubelten.
Aramis lächelte knapp. „Toussaint ist ein kleines Land, aber sein Herz ist groß. Wir kämpfen nicht nur für das Kaiserreich, sondern für alles, was uns ausmacht. Das Volk versteht das, und das ist es, was uns stark macht.“
Als die Ritter langsam durch die Straßen Beauclairs ritten, flankiert von ihren Knappen, Soldaten und Handwerkern, schauten sie über die jubelnden Massen hinweg. Die Banner wehten stolz im Wind, das Wappen der du Lacs an einer Kette um den Hals von Aramis glänzte im Sonnenlicht.
Die Prozession führte sie durch die prunkvollen Viertel der Stadt, vorbei an kunstvollen Springbrunnen, duftenden Weingärten und den hoch aufragenden Mauern Beauclairs. Die prachtvollen Gebäude Beauclairs spiegelten die Schönheit und den Reichtum dieser Stadt wider, doch es war die Liebe und Hingabe des Volkes, die Aramis am meisten berührte.
Schließlich erreichten sie das große Stadttor. Dort hielt die Prozession inne, und die Herzogin hob erneut ihre Hand, um den Abschiedsworten Raum zu geben. „Möge der Segen der Herrin vom See euch leiten und der Mut eures Herzens euch beschützen! Kehrt ruhmreich zurück, meine Ritter!“
Mit einem letzten, tosenden Jubel öffneten sich die Tore, und die Ritter Toussaints, angeführt von Justine, Gauvain und Aramis ritten hinaus in die weite Welt, bereit, ihre Ehre auf dem Schlachtfeld zu beweisen.
Der Zug in den Norden
Der Marsch nach Norden war in vollem Gange. Die zwölf Ritter, gefolgt von ihrem Tross aus Knappen, Wachen, Handwerkern und Heilern, bewegten sich langsam durch die sanften Hügel des Herzogtums. Jeder Schritt führte sie weiter fort von der Heimat und tiefer in das Ungewisse.
Auf halbem Weg nach Belhaven stieß ein kleiner Trupp Soldaten zu ihnen – zwanzig Reiter, angeführt von einem breitschultrigen Mann mit einem wettergegerbten Gesicht und einem ernsten Ausdruck. Aramis erkannte ihn sofort: Henri Bernard, sein alter Freund und Hauptmann der Grenzfeste Vedette.
„Henri!“ rief Aramis aus und lenkte seinen Schimmel Berek in Richtung des Ankömmlings. „Ich wusste, dass du Wort halten würdest.“
Henri grinste knapp, ein Lächeln, das mehr von innerer Stärke als von Freude zeugte. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich die Gelegenheit auslassen würde, wieder an deiner Seite zu kämpfen?“
Aramis lachte leise und klopfte Henri auf die Schulter. „Es ist gut, dich zu sehen, alter Freund!“
Henri musterte den Zug der Ritter mit kritischem Blick. „Es ist lange her, dass wir gemeinsam geritten sind. Aber ich sehe, du hast hier eine ganz ordentliche Truppe versammelt. Sogar der alte Jacques Moreau ist mit dabei!“ Er nickte dem erfahrenen Veteranen von Avallach zu, der wie immer ruhig und bedächtig an der Seite der anderen Soldaten ritt.
„Ich habe die Besten mitgebracht, die ich finden konnte,“ antwortete Aramis. „Und du hast mir mit deinen Männern gerade den letzten Schliff gegeben.“ Henri und seine Soldaten, allesamt kampferprobte Veteranen, schlossen sich dem Tross an, und die Truppe war nun vollständig.
Belhaven, die friedliche Stadt am Rande der fruchtbaren Ebenen Toussaints, war ihr nächster Halt. Die Reise dorthin verlief ohne Zwischenfälle, und als sie die Tore der Stadt erreichten, wurden sie von dem süßen Duft reifer Früchte und dem geschäftigen Treiben der Obstbauern begrüßt.
„Schöner Ort“, stellte Henri vergnügt fest. „Vielleicht gönnen wir uns einen Krug von diesem berühmten Obstbrand, bevor es weitergeht?“
Justine, die neben Aramis ritt, warf ihm einen strengen Blick zu. „Wir haben keine Zeit für Ausschweifungen. Der Krieg wartet.“
„Ein kleiner Schluck hat noch keinem Ritter geschadet“, erwiderte Gauvain mit einem verschmitzten Lächeln. „Aber du hast recht, Justine. Wir sind hier, um Vorräte zu fassen und die Pferde zu schonen.“
In Belhaven herrschte dennoch eine gewisse Leichtigkeit, und Aramis nutzte die Gelegenheit, um seine Truppe genauer zu mustern. Henri und seine Männer waren ein fester, disziplinierter Kern, auf den er sich verlassen konnte. Jacques Moreau, mit seiner Erfahrung, strahlte eine Ruhe aus, die auf den Rest des Trosses abfärbte. Die jungen Knappen, darunter Étienne, waren aufgeregt, aber konzentriert. Aramis wusste, dass sie bereit sein würden, wenn der Moment kam.
Nach einer kurzen Rast und frischen Vorräten setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Die Straßen wurden rauer, die Hügel steiler, und das Gefühl von Abenteuer wich allmählich der Realität des bevorstehenden Krieges. Doch es gab keine Unruhe, keine Angst – nur Entschlossenheit.
Am nächsten Abend, während sie ihr Lager aufschlugen, gesellte sich Henri zu Aramis ans Feuer. Im Schein der Flammen warfen sie lange schatten und die Stille der Nacht wurde nur vom gelegentlichen Schnauben der Pferde durchbrochen.
„Es fühlt sich seltsam an, wieder auf diesem Weg zu sein“, sagte Henri leise. „So viele Jahre sind vergangen, seit wir Seite an Seite gekämpft haben.“
Aramis nickte nachdenklich. „Ja, aber der Kampf hat uns nie wirklich verlassen, oder?“
Henri sah ihn an und ein Lächeln huschte über seine Lippen. „Vielleicht. Aber wir beide wissen, dass dieser Krieg anders wird.“
Aramis sah in die Flammen. „Anders, ja. Aber wir werden ihn bestehen, wie wir alles andere bestanden haben.“
Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Der Weg führte sie nach Riedbrune, einer Stadt am Ufer des mächtigen Yaruga. Hier, am Rande des Kaiserreichs, begann die eigentliche Herausforderung. Händler, Söldner und kaiserliche Soldaten drängten sich auf den Straßen, alle in Aufruhr wegen des Krieges. Die Ritter von Toussaint erregten Aufsehen, doch niemand wagte es, ihnen zu nahe zu kommen.
Henri Bernard blieb an Aramis’ Seite, wachsam und bereit. „Hier beginnt der Ernst der Sache“, sagte er.
Aramis nickte. „Ja. Der Yaruga trennt uns von der Welt, die wir kennen. Jenseits dieses Flusses beginnt das Kriegsgebiet.“
Die Ritter und ihr Gefolge bestiegen die bereitgestellten Schiffe, und das Überqueren des Yaruga war von einer düsteren Stille geprägt. Der Fluss war breit und träge, aber seine symbolische Bedeutung als Grenze war überwältigend. Als sie das Ufer des Nordens erreichten, wussten sie, dass der Weg, den sie eingeschlagen hatten, keinen leichten Rückweg mehr zuließ.
„Willkommen im Norden“, murmelte Jaques, als sie festen Boden unter den Füßen hatten.
Die Ritter von Toussaint, unterstützt von ihren treuen Gefährten, sammelten sich neu. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung – vor ihnen lag die weite, wilde Landschaft von Sodden.
Der Hinterhalt bei der Straße von Sodden
Die Mittagswärme lag schwer über dem Wald von Sodden, als der Tross aus Toussaint den engen Pfad entlangzogen. Es war still, nur das gleichmäßige Schnauben der Pferde und das Knarren der Wagenräder drang durch die Bäume. Aramis ritt vorne in der Kolonne, neben ihm Etienne, der die Augen aufmerksam auf die Umgebung gerichtet hielt.
„Das Gelände hier ist gefährlich“, murmelte Henri Bernard, der wenige Pferdelängen vor ihnen ritt. „Perfekt für einen Hinterhalt.“
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, tauchten aus dem dichten Unterholz plötzlich zwei Gestalten auf – die beiden Jäger von Gauvain, leichtfüßig und alarmiert. „Temerier!“, rief einer von ihnen knapp. „Sie warten weiter vorn, versteckt in den Bäumen!“
Aramis’ Instinkt setzte sofort ein. „In Deckung! Bereitet euch vor!“, rief er mit fester Stimme, das Schwert blitzschnell aus der Scheide ziehend.
Ein lautes Horn erklang, gefolgt von einem unheilvollen Rauschen. Pfeile, unzählige Pfeile, flogen aus dem dichten Gehölz und prasselten auf sie herab. Schreie erfüllten die Luft, als mehrere Soldaten unter dem plötzlichen Hagel zu Boden gingen. Pferde wieherten panisch, der Lärm des Angriffs zerfetzte die trügerische Ruhe.
„In Formation!“, brüllte Aramis, während er Berek anspornte. „Schilde hoch!“
Die Ritter und ihre Truppen formierten sich hastig, Schilde erhoben sich gegen den Pfeilhagel, während die Männer und Frauen des Trosses hektisch nach Deckung suchten.
Die Temerier, die sie aus dem Hinterhalt angegriffen hatten, ließen nicht nach. Aus dem Unterholz brachen Dutzende von Soldaten hervor, gehüllt in die blau-weißen Farben Temeriens, ihre Waffen erhoben, bereit für den Nahkampf.
Die Feinde stürzten heran, mit Schlachtrufen auf den Lippen und der Wildheit von Männern, die für ihr Land kämpfen. Der Feind schien in der Überzahl soweit Aramis es ausmachen konnte, und das dichte Gelände machte es zusätzlich schwer, die zahlenmäßige Überlegenheit der Feinde durch die Reiterei auszugleichen. Doch die Ritter von Toussaint, gerüstet in ihren glänzenden Rüstungen und auf starken Schlachtrössern, waren die Elite ihres Landes, so leicht würden sie sich nicht geschlagen geben!
Aramis stürmte in die feindlichen Reihen, sein Schwert wie ein Blitz, der sich durch die Rüstungen der Angreifer bohrte. Er riss das Schwert aus dem Brustkorb eines Temeriers und blockte den nächsten Schlag mit präziser Eleganz ab, bevor er den Gegner mit einem schnellen Hieb zu Boden schickte. Neben ihm kämpfte Justine, ihre Bewegungen fließend und tödlich. Ihre Schwert durchbohrte den Helm eines Angreifers, noch während sie ihr Schlachtross auf den Hinterbeinen wenden ließ, um mit beeindruckender Kraft gleich den nächsten Gegner niederzureiten.
„Für Toussaint!“, brüllte Gauvain, dessen Streitkolben ein Feuerwerk aus Funken und Blutregen erzeugte, während er sich seinen Weg durch die Reihen der Temerier bahnte.
Étienne kämpfte tapfer an der Seite von Aramis, doch der Knappe war noch jung und unerfahren in einer so brutalen Schlacht. Sein Schwertarm zitterte, als er seine Klinge einem anstürmenden Soldaten entgegenhielt. Der Temerier, ein großer Mann mit einem groben Gesicht und schmutziger Rüstung, schwang seine Axt in einem gewaltigen Bogen. Étienne blockte den Hieb mit seinem Schild, doch der Aufprall ließ ihn im Sattel schwanken.
Aramis war in einem Augenblick bei ihm. Mit einem schnellen Hieb schlug er die Axt des Gegners zur Seite und rammte ihm sein Schwert in den Leib. Der Temerier fiel schwer atmend zu Boden, das Blut quoll aus der Wunde.
„Bleib bei mir“, rief er über den Kampflärm hinweg. „Lass dich nicht vom Pferd ziehen!“
Der Kampf tobte weiter. Das Klirren von Stahl auf Stahl, die Schreie der Verwundeten und Sterbenden erfüllten die Luft. Aramis sah, wie Henri Bernard eine Gruppe von Männern anführte, ihre Lanzen wie eine eiserne Wand gegen die Temerier gerichtet. Jaques Moreau, immer ein Fels in der Brandung, hielt die linke Flanke der Formation, sein Streitkolben ein Instrument des Todes.
Die Temerier hatten die Ritter aus Toussaint und ihre Männer gewaltig unterschätzt. Obwohl sie zahlenmäßig überlegen waren, wurden sie durch die Ritter und der unerschütterlichen Formation der Soldaten Toussaints zermürbt. Berek, Aramis‘ Schlachtross, stürmte mit ungebändigter Kraft durch die Reihen, seine Hufe zermalmten Knochen, während Aramis’ Klinge Tod und Verderben brachte.
Eine Gruppe von Temeriern versuchte, die Flanke zu umgehen und auf die Bogenschützen zuzuhalten, die sich auf einem der Wagen in Stellung gebracht hatten. Justine, die die Bewegung bemerkt hatte, riss ihr Pferd herum und führte ihre Männer in einem rasenden Galopp gegen die Angreifer. Mit gesenktem Schwert raste sie auf die Feinde zu, die Spitze der Waffe glitzerte im Sonnenlicht, bevor sie in die Reihen der Feinde krachte. Der erste Temerier wurde zu Boden gerissen, ein zweiter folgte unmittelbar danach. Ihre Männer fochten an ihrer Seite, und die Angreifer wurden schnell in die Flucht geschlagen.
Doch die Temerier gaben nicht so leicht auf. Eine zweite Welle von Feinden stürzte aus dem Dickicht, wütend brüllend, entschlossen, den Kampf zu wenden.
Étienne, der immer noch an Aramis’ Seite kämpfte, verteidigte sich tapfer gegen zwei Angreifer, seine Klinge blitzte immer wieder kurz auf, während er einen Schlag nach dem anderen abwehrte. Doch einer der Temerier war schneller – sein Speer fand eine Lücke in Etiennes Rüstung und bohrte sich tief in den Arm des jungen Knappen.
„Étienne!“, rief Aramis, seine Augen weiteten sich vor Sorge. Doch der junge Knappe ließ sich nicht unterkriegen. Trotz der klaffenden Wunde kämpfte er weiter, seine Zähne zusammengebissen, während er den Gegner mit einem verzweifelten Hieb zu Boden brachte.
Aramis, vom Anblick seines tapferen Knappen angetrieben, stürzte sich erneut in den Kampf. Mit einem gewaltigen Schrei und einem Hieb von oben ließ er das Schwert auf einen feindlichen Hauptmann herabsausen. Der Mann hatte keine Chance – der Stahl schlug tief in seine Schulter, und er sank leblos zu Boden.
Die Temerier wichen schließlich zurück. Ihre Reihen waren durchbrochen, ihr Angriff gescheitert. Der Boden war übersät mit den Leichen der Gefallenen, das Blut tränkte den Boden, während die Überlebenden in panischer Flucht das Weite suchten.
Der Sieg gehörte den Rittern von Toussaint!
Der Geruch von Blut und Schweiß hing schwer in der Luft, als die letzten Schreie der Verwundeten über das Schlachtfeld hallten. Aramis, noch mit blutverschmiertem Schwert, hielt einen Moment inne, seine Brust hob und senkte sich schwer unter der Last des Kampfes.
„Wir haben gewonnen“, murmelte Étienne, der mit zusammengebissenen Zähnen seinen verletzten Arm hielt. Sein Gesicht war blass, doch der Blick in seinen Augen war fest. Aramis legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Ja, aber die Toten sprechen nicht mehr“, antwortete Aramis ruhig, sein Blick wanderte über die Leiber der Gefallenen. „Das Schlachtfeld gibt keinen Frieden, Étienne, das musst du verstehen. Der Krieg ist nicht vorbei nur weil das Schwert schweigt.“
Mit schweren Schritten ging Aramis durch die Reihen der Überlebenden, seine Augen suchten nach den Verwundeten. Justine und Gauvain halfen denjenigen, die noch auf ihren Beinen stehen konnten, während Henri Bernard die Männer anleitete, die Gefallenen zu bergen. Die Sonne stand tief am Himmel, und der dichte Wald von Sodden war nun still, als ob die Natur selbst den Atem anhielt, um die Zerstörung zu begutachten.
Aramis ließ sich vor einem schwer verwundeten Ritter nieder, dessen Atem flach und unregelmäßig ging. Blut strömte aus einer tiefen Wunde in der Seite des Mannes, seine Augen waren glasig. Aramis hielt seine Hand und flüsterte beruhigende Worte, während Justine ein Tuch in Wasser tränkte und es ihm auf die Stirn legte. Doch es war zu spät. Chevalier Arnaud de Charbon hauchte seinen letzten Atemzug aus, seine Hand erschlaffte in der von Aramis.
„Seine Seele möge in die Arme der Herrin vom See geleitet werden“, flüsterte Aramis und drückte die Augen des Gefallenen sanft zu.
Die Versorgung der Verwundeten ging weiter und die wenigen Heiler die sie dabeihatten, versuchten ihr Möglichstes. Gauvain, der selbst leicht an der Schulter verletzt war, verband sich hastig, um anderen zu helfen. Aramis achtete darauf, dass die Männer schnell und effizient arbeiteten. Das Blut tränkte die Erde, und das leise Stöhnen der Sterbenden begleitete das düstere Szenario.
Als die Nacht hereinbrach, begannen sie, die Toten zu bestatten. Sie errichteten provisorische Gräber auf einer kleinen Lichtung im Wald. Aramis stand mit verschränkten Armen da, der Helm abgenommen, seine Augen fest auf die Toten gerichtet.
„Bringt sie zur Ruhe“, sagte er schließlich, seine Stimme ruhig, aber schwer vor Trauer.
Die Männer begannen schweigend mit den Vorbereitungen für das Begräbnis. Die Ritter standen dicht beieinander, als die ersten Körper in die Erde gelegt wurden. Aramis trat nach vorne, sein Blick wandte sich gen Himmel, wo der Mond hoch über den Bäumen thronte. Mit fester Stimme begann er das Gebet zur Herrin vom See.
„Oh Herrin vom See, Beschützerin der Tugenden, wir bitten dich, über die Seelen unserer gefallenen Brüder zu wachen. Nimm sie in deine ewigen Gewässer auf, wo Schmerz und Tod sie nicht mehr berühren. Ihre Schwerter haben im Namen der Ehre und der Pflicht gestritten, und nun legen wir sie in deine Hände. Möge ihr Opfer nicht vergessen werden, und mögen ihre Namen für immer in den Hallen der Erinnerung klingen.“
Die Ritter senkten ihre Köpfe, und Aramis fuhr fort: „Mögen die Wellen des Sees sie sanft tragen, und mögen ihre Geister in Frieden ruhen. So wie sie im Leben mutig waren, mögen sie nun im Tod ihren Platz an deiner Seite finden, wo sie ewige Ruhe und Erfüllung erwarten.“
Stille breitete sich aus, nur das leise Rascheln des Windes in den Bäumen war zu hören. Die Toten wurden in die Erde gelegt, und Aramis kniete sich nieder, um eine Handvoll Erde auf das Grab zu werfen. Die anderen Ritter taten es ihm nach, und bald waren die Gräber geschlossen, die Schwerter der Gefallenen als stilles Mahnmal aufrecht in den Boden gerammt.
Aramis erhob sich, sein Blick war ernst und entschlossen. „Wir ehren die Toten, doch wir dürfen nicht vergessen, dass unser Weg noch weit ist. Die Herrin wache über uns, wie sie über unsere gefallenen Brüder wacht.“
Die Ritter nickten, und in der Stille des Waldes von Sodden kehrte ein Moment des Friedens ein, während der nächste Tag des Krieges unweigerlich näher rückte.
Das Lager der Heeresgruppe Mitte
Nach drei harten Tagesmärschen durch das zerklüftete Gelände südlich von Mayena, erreichte der Tross aus Toussaint endlich das Lager der Heeresgruppe Mitte. Weit erstreckte es sich über Hügel und Täler, die sich sanft in Richtung Norden neigten, wo am Horizont die gewaltigen Mauern der Festungsstadt Mayena emporragten. Das schwarze Banner mit der goldenen Sonne wehte schwer im Wind, ein unheilvolles Zeichen der Macht und Disziplin, die das Imperium Nilfgaards ausstrahlte.
Aramis ritt an der Spitze der Kolonne, der weite, geordnete Aufbau des Lagers beeindruckte ihn, doch er konnte nicht umhin, einen deutlichen Unterschied zu erkennen. Die Ritter aus Toussaints, stolz in ihren farbenfrohen Wappenröcken und glänzenden, kunstvoll verzierten Rüstungen, bildeten einen scharfen Kontrast zu den nüchternen, pragmatischen Reihen von Nilfgaards Soldaten. Während die Rüstungen und Banner der Kaiserlichen in den Farben Schwarz und Gold gehalten waren und eine strenge Uniformität verströmten, war die Gruppe aus Toussaint ein leuchtender Fleck von Rot, Blau, Grün und Silber inmitten dieser düsteren, geordneten Masse.
Das Lager selbst war ein Abbild von Nilfgaards militärischer Effizienz. Reihen um Reihen perfekt ausgerichteter Zelte erstreckten sich in alle Richtungen, Wachposten patrouillierten unermüdlich entlang der befestigten Palisaden, und überall waren Soldaten in ständiger Bewegung, die diszipliniert ihren Aufgaben nachgingen. Die Straßen im Lager waren von Trampelpfaden zu festen Wegen geworden, auf denen Karren mit Nachschub und Waffen lautlos rollten, gezogen von stämmigen Pferden und Ochsen, während Offiziere strategische Befehle an Gruppen von Soldaten brüllten. Es war ein Ort, der in ständiger Vorbereitung auf die Schlacht stand, ohne Raum für Freude oder Übermut.
„Das ist beeindruckend“, murmelte Justine an Aramis’ Seite, während sie den Blick über das scheinbar endlose Lager schweifen ließ. „Aber es ist so… kalt.“
„So ist der Weg der Nilfgaarder“, antwortete Aramis nachdenklich. „Für sie ist alles Mittel zum Zweck. Disziplin, Kontrolle. Kein Raum für Individualität oder Ehre. Der Sieg ist ihr einziges Ziel.“
Étienne, der noch immer seinen verletzten Arm schonen musste, nickte. „Es ist das Gegenteil von unserem Leben in Toussaint. Dort, wo wir Weinberge, Musik und Feste haben… hier gibt es nur das Schwert und den Tod.“
Aramis konnte das nicht leugnen. Das Leben in Toussaint, geprägt von Kunst, Freude und Ehrenhaftigkeit, stand in krassem Gegensatz zur düsteren Strenge dieses Ortes. In Toussaint waren Ritter wie Helden verehrt, ihre Taten gefeiert, und das Leben wurde mit einer Hingabe an Schönheit und Glanz gelebt. Doch hier, unter dem schwarten Banner, wurde jeder Mann und jede Frau zu einem Zahnrad in der gewaltigen Kriegsmaschine des Kaiserreichs.
Das Zentrum des Lagers war unverkennbar: eine imposante Ansammlung größerer Zelte, mit Wachen in schweren Plattenrüstungen umgeben, die Wappen des Imperiums überall sichtbar. Auf einem Hügel gelegen, thronte das Lager des Feldmarschalls Menno Coehoorn über den anderen, von dort aus überblickte man die gesamte Anlage wie ein General, der ein Schachbrett studierte.
„Das ist es“, sagte Gauvain. „Hier werden die Entscheidungen getroffen, die über das Schicksal des Nordens bestimmen.“
Die Ritter trabten durch die Reihen der Nilfgaarder, die sie aufmerksam, aber ohne große Regung beobachteten. Kein Jubel oder Ehrerbietung begleitete ihre Ankunft – hier zählte nur das Militärische. Ein Mann war so viel wert wie sein Beitrag zum Krieg, und in den Augen der Nilfgaarder waren die Ritter Toussaints, so ruhmreich sie auch in ihren eigenen Landen sein mochten, nur ein weiteres Werkzeug im Getriebe des Krieges.
Als sie schließlich das Zelt des Feldmarschalls erreichten, wurden sie von Offizieren in schwarzen Umhängen empfangen. „Ihr seid die Ritter aus Toussaint“, sagte einer von ihnen knapp und blickte über die versammelte Truppe. „Ihr werdet erwartet.“
Aramis nickte und schwang sich elegant von Berek. Die letzten Schritte führten sie hinauf zu dem gewaltigen Zelt, dessen Spitze hoch über die anderen ragte und von Bannern des Imperiums umgeben war. Vor dem Eingang standen Wachen mit langen Hellebarden, ihre Mienen unbewegt, als die Gruppe herantrat.
Der Eingang des Zeltes öffnete sich plötzlich, und eine imposante Gestalt trat hervor. Menno Coehoorn, der legendäre Feldmarschall des Kaiserreichs, machte seinen Auftritt. In seiner schwarzen, goldverzierten Rüstung wirkte er wie eine Verkörperung der Disziplin und Macht Nilfgaards. Sein Gesicht war streng, von tiefen Furchen durchzogen, seine Augen kalt und durchdringend. Um seinen Hals hing ein breiter Mantel, und an seiner Seite baumelte ein Schwert, das bereits unzählige Schlachten gesehen hatte.
Coehoorn musterte die Ritter mit einem Blick, der jede Regung ihres Stolzes oder ihrer Tapferkeit zu durchdringen schien. Sein Gesicht blieb unbewegt, als er sprach, die Stimme so schneidend wie der Wind auf den Hügeln.
„Ritter von Toussaint“, sagte er schließlich. „Ihr seid angekommen. Folgt mir!“
Das Innere von Menno Coehoorns Zelt war das Herz des Krieges. Karten von beeindruckender Größe bedeckten die Tische, auf denen die weiten Ländereien des Nordens in akribischen Details abgebildet waren. Symbole von Einheiten und Standorten markierten strategisch wichtige Punkte. Offiziere in schwarzen Uniformen standen rund um den zentralen Tisch, während Boten und Schreiber stumm im Hintergrund arbeiteten, Notizen nahmen und Befehle weiterleiteten. Der Raum war erfüllt von der düsteren Ernsthaftigkeit des Krieges, und die Luft schien vom Druck der Entscheidungen schwer zu sein.
Aramis, flankiert von Justine und Gauvain, trat näher an den Tisch heran. Sein Blick fiel sofort auf die Festungsstadt Mayena, deren hohe Mauern und Bollwerke auf der Karte wie ein unüberwindbarer Klotz wirkten. Sie lag tief in temerischen Gebiet, und die Linien, die das Heereslager umgaben, gaben einen Hinweis auf die bevorstehende Belagerung.
Feldmarschall Menno Coehoorn stand mit verschränkten Armen am Kopf des Tisches und blickte Aramis und die Ritter mit durchdringenden Augen an. Neben ihm standen weitere hochrangige Offiziere, darunter der schlaksige, aber intelligente Strategist Marcus Braxe, bekannt für seine ausgefeilten Taktiken, und General Arcadius von Alba, ein bulliger Mann, dessen Kampferfahrung auf seinem wettergegerbten Gesicht abzulesen war.
„Ihr seid hier, um eure Ehre auf dem Schlachtfeld zu beweisen“, begann Coehoorn, seine Stimme ruhig, aber fest. „Doch Ehre ist in diesen Landen wenig wert. Wir kämpfen nicht um Lieder und Lorbeeren, sondern um die Kontrolle über die Nordlande. Mayena muss fallen, und das wird kein glorreicher Ritt sein. Es wird Blut und Tod geben, viel mehr als manche von euch vielleicht gewohnt sind.“
Coehoorn war kein Mann, der sich von großen Reden und Idealismus leiten ließ. Hier, in der Welt des Nilfgaarder Imperiums, zählte nur der Erfolg.
Der Feldmarschall fuhr fort und deutete auf eine Linie auf der Karte, die durch ein dicht bewaldetes Gebiet nordwestlich von Mayena führte. „Hier, entlang der Nachschubwege der Temerier, liegt euer Auftrag. Sie sind entscheidend für die Verteidigung der Festung. Ohne Nachschub wird ihre Widerstandskraft schnell bröckeln.“
Er sah auf und musterte die Ritter einzeln. „Ihr werdet als kleine Gruppe operieren, schnell und unerbittlich. Euer Ziel ist es, diese Nachschubwege zu stören – kaiserliche Späher haben bereits erste Konvois gesichtet, die Vorräte und Verstärkungen nach Mayena bringen. Ihr werdet diese Konvois abfangen, zerstören, und den Temeriern keine Ruhe lassen. Jagt sie, wie ein Falke seine Beute jagt. Es muss so aussehen, als könnten sie keinen einzigen Transport sichern, ohne Gefahr zu laufen, niedergemacht zu werden.“
Die Ritter tauschten Blicke aus. Dies war keine ehrenhafte Schlacht, sondern ein unerbittlicher Guerillakrieg, der Geduld und List erforderte. Doch Aramis nickte, während er die Worte des Feldmarschalls in sich aufnahm. „Wir verstehen, Feldmarschall. Die Nachschubwege werden nicht ungehindert bleiben.“
Coehoorn nickte knapp, zufrieden mit der Antwort. Dann deutete er auf einen anderen Abschnitt der Karte, der die weiten Felder vor den Mauern von Mayena zeigte. „Aber das ist nicht alles. Die Temerier verfügen über einige schnelle Kavallerieeinheiten, die in diesem Gelände einen Vorteil haben könnte. Sie werden versuchen, unsere Belagerungsmaschinen zu stören, und das können wir uns nicht leisten. Sollten sie aufbrechen, müsst ihr sie beschäftigen. Bindet sie, haltet sie auf Distanz, und wenn sich die Gelegenheit bietet, schlagt zu.“
General Arcadius, der bisher still gewesen war, trat vor. Seine Stimme war tief und rau, passend zu seinem massigen Körperbau. „Es ist eine gefährliche Aufgabe weit hinter den Frontlinien, aber es ist notwendig!“
„Verlasst euch darauf“, sagte Gauvain kurz angebunden. „Die Kavallerie der Temerier wird keine leichte Beute finden.“
Menno Coehoorn trat einen Schritt näher und ließ seinen Blick fest auf Aramis ruhen. „Ihr Ritter seid mutig, das habe ich gehört. Doch Mut allein wird hier nicht genügen. Ihr werdet schnell handeln müssen, und unvorhersehbar. Die Temerier sind zähe Kämpfer, die für ihr Land und ihre Freiheit sterben werden. Erwartet keinen leichten Sieg, und unterschätzt sie nicht.“
Aramis neigte leicht den Kopf. „Wir sind bereit. Wir kennen den Preis des Krieges.“
Der Feldmarschall musterte ihn einen Moment länger, dann nickte er. „Gut. Dann bereitet euch vor. In zwei Tagen wird die Belagerung von Mayena beginnen, und ihr werdet in Stellung sein müssen. Unsere Flanken werden gesichert, der Großteil unserer Truppen wird die Festung umschließen. Ihr jedoch… ihr werdet jenseits der Linien operieren. Es wird kein Platz für Fehler geben.“
Mit diesen Worten wandte sich Coehoorn ab und betrachtete erneut die Karte, seine Gedanken schon wieder bei der nächsten strategischen Entscheidung. „Ihr werdet auf Boten warten, die euch über Bewegungen der Temerier informieren. Seid bereit, wenn der Ruf kommt.“
Die Ritter von Toussaint erhoben sich. Aramis, Justine und Gauvain tauschten ernste Blicke, dann machten sie sich auf den Weg aus dem Zelt. Der Auftrag war klar, und die Tage des Kampfes lagen vor ihnen.
Der Abend legte sich schwer über das Lager der Heeresgruppe Mitte. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf, und das Knacken von Feuern, das Murmeln der Soldaten und das Klirren von Waffen und Rüstungen erfüllten die Luft. Überall wurden die letzten Vorbereitungen getroffen, während die kaiserlichen Soldaten die Stellungen verstärkten und die Katapulte fertig stellten. Der Geruch von geschmolzenem Metall und Holzrauch mischte sich mit dem leichten Wind, der über das Lager strich.
Inmitten dieses geordneten Chaos hatten die Ritter von Toussaint und ihr Gefolge in einem abgelegenen Teil des Lagers ihre Zelte aufgeschlagen und sich um ein großes Feuer versammelt. Hier war die Atmosphäre anders. Während die Nilfgaarder ruhig und diszipliniert ihren Pflichten nachgingen, suchten die Männer aus Toussaint Trost in der Gesellschaft ihrer Kameraden. Sie saßen auf Fässern und Holzbänken, ihre Rüstungen abgelegt, ihre Gesichter im flackernden Licht des Feuers von einer Mischung aus Sorge und Gelassenheit gezeichnet. Flaschen mit duftendem Rotwein aus den Weingütern Toussaints wurden herumgereicht, und der warme Glanz der Gläser spiegelte den Geist ihrer Heimat wider.
Justine, mit ihrem freundlichen Blick, lehnte sich gegen einen Baumstumpf und sprach leise mit Henri Bernard, der seine Klinge mit einem Tuch polierte, als sei es ein zeremonielles Ritual. Jaques Moreau erzählte leise eine Geschichte aus früheren Tagen, seine tiefe Stimme gedämpft, aber die Zuhörer um ihn herum lächelten, wenn auch melancholisch. Es war eine Nacht des Innehaltens, ein Moment des Friedens vor dem Sturm, der sie in den nächsten Tagen unweigerlich erfassen würde.
Aramis saß neben Gauvain auf einem großen Stein, ein Glas Wein in der Hand. Sie hatten sich etwas abseits vom Hauptkreis der Gruppe niedergelassen, wo die Gesichter der anderen im schwachen Licht tanzten. Die beiden Männer schwiegen eine Weile und beobachteten das Feuer, während die sanften Klänge eines leisen, melancholischen Liedes, gesungen von einem der Ritter, in der Luft schwebten.
Gauvain nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher und seufzte, sein Blick wanderte ins Leere. „Es ist seltsam, nicht wahr?“, begann er schließlich. „So oft haben wir uns auf den Ruhm des Kampfes vorbereitet, das Gefühl, unsterblich zu sein, die Unbesiegbarkeit der Jugend… und nun, hier sind wir. Es fühlt sich … anders an.“
Aramis warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. „Was genau meinst du damit?“
Gauvain drehte das Weinglas in seiner Hand, das Licht des Feuers spielte auf der Oberfläche der Flüssigkeit. „Wir stehen an der Seite Nilfgaards. Inmitten einer gewaltigen Kriegsmaschinerie, wie ich sie mir nie vorgestellt hätte. Es ist nicht der ehrenhafte Zweikampf, der heldenhafte Ritt gegen einen würdigen Gegner. Es ist etwas Größeres, etwas… Zermürbendes. Die Menschen, die wir bekämpfen, kämpfen nicht für Ruhm oder Ehre. Sie kämpfen ums Überleben…für ihre Freiheit – und wir…“
Aramis ließ die Worte auf sich wirken, bevor er antwortete. „Das stimmt … es ist anders … es geht nicht um Lieder oder Balladen, wie wir sie in Toussaint singen. Aber dennoch müssen wir unsere Pflicht erfüllen. Wir sind hier, weil wir es müssen. Weil das, was wir tun, über uns hinausgeht. Es geht nicht nur um unseren Stolz oder unsere Ehre, sondern um das, was unsere Herzogin für unsere Heimat als notwendig erachtet. Die Menschen zu Hause vertrauen darauf, dass wir sie nicht enttäuschen.“
Gauvain nickte, aber der Zweifel in seinen Augen blieb bestehen. „Ich weiß. Doch manchmal frage ich mich, ob es das wert ist. Ob die Geschichten, die sie eines Tages über uns erzählen, den Preis rechtfertigen, den wir zahlen werden.“
Ein trauriges Lächeln huschte über Aramis‘ Gesicht. „Die Geschichten, Gauvain… sie sind nicht für uns. Sie sind für die, die nach uns kommen. Für die, die uns nicht mehr kennen werden, aber in unseren Taten Inspiration finden. Vielleicht ist das das Einzige, was von uns übrigbleibt. Doch solange wir kämpfen, wie wir es immer getan haben – mit Ehre, mit Mut – werden wir unseren Platz in diesen Geschichten verdienen.“
Gauvain lehnte sich zurück und ließ den Kopf in den Nacken fallen, die Sterne suchend. „Vielleicht hast du recht. Vielleicht. Aber eines weiß ich sicher – wenn wir morgen in die Schlacht ziehen, werde ich kämpfen wie nie zuvor. Nicht nur für Toussaint, sondern für dich, für Justine, für uns alle. Denn am Ende… ist es unsere Freundschaft, die uns zusammenhält.“
Aramis legte ihm eine Hand auf die Schulter, ein fester Griff, der ihre jahrelange Freundschaft besiegelte. „Das ist es, Gauvain. Was immer auch geschieht, wir werden diesen Weg zusammen gehen.“
Ein Moment des stillen Einvernehmens legte sich zwischen die beiden. Das Lachen und die Gespräche der anderen füllten die Nacht, und obwohl die Schatten des bevorstehenden Krieges schwer auf ihnen lagen, fanden sie Trost in der Gemeinschaft.
Der Wein wurde weiter gereicht, und die Soldaten ließen sich ein letztes Mal von den Aromen ihrer Heimat verzaubern, bevor die Welt sie in den harten Griff des Krieges reißen würde. Lieder erklangen, Geschichten wurden geteilt, und für einige Stunden schien die Bedrohung in der Ferne zu liegen.
Pflicht
Der Morgen dämmerte kalt und grau über dem Lager. Ein feiner Nebel hing in der Luft, der die Geräusche dämpfte und alles in einen trügerischen Schleier aus Stille hüllte. Die Männer von Toussaint, die letzte Nacht noch gemeinsam gelacht und getrunken hatten, waren nun in ihre Rüstungen gehüllt, ihre Gesichter ernst und konzentriert. Die Stunden des unbeschwerten Zusammenseins waren vorbei – es war Zeit, ihre Pflicht zu erfüllen.
Aramis stand am Rand des Lagers, sein Blick auf die nebelverhangenen Hügel gerichtet, die in der Ferne die Silhouette von Mayena verdeckten. Die Festung lag verborgen, aber jeder wusste, dass sie in diesen Mauern den Feind erwarteten. Er atmete tief ein, spürte die Kälte des Morgens auf seiner Haut und griff nach dem Schwert an seiner Seite. Berek, sein treues Schlachtross, schnaubte unruhig, als würde es die nahende Gefahr spüren.
„Es ist so weit“, sagte eine Stimme hinter ihm.
Aramis drehte sich um und sah Henri Bernard, der bereits voll gerüstet war, sein Helm unter dem Arm, und eine ernste Miene trug. „Die Männer sind bereit. Die Aufklärer haben bestätigt, dass der feindliche Nachschub auf den Wegen unterwegs ist. Menno Coehoorn erwartet, dass wir den Plan umsetzen.“
Aramis nickte. „Wir haben unsere Befehle, lass die Männer aufsitzen!“
Henri nickte zustimmend und setzte sich den Helm auf. „Alle Mann … aufsitzen!“
Aramis sah über die Reihen der Soldaten. Die Männer von Toussaint, stolz und aufrecht, hatten ihre Rüstungen angelegt und saßen nun bereit auf ihren Pferden, ihre Lanzen und Schwerter glänzten im matten Licht des Morgens.
Er hob die Hand und griff nach seinem eigenen Helm und setzte ihn auf. Als er auf Berek saß und von einem Mann aus dem Tross seine Lanze angereicht bekam, ertönte das Horn von Justine, das unmissverständliche Signal zum Aufbruch und die lange Reihe an Reitern setzte sich in Bewegung.
Aramis blickte noch einmal zurück auf ihr Lager, dass nun lediglich von einigen Männern und Frauen belebt war, die nicht mit in den Kampf ziehen würden. Als der letzte Soldat an Aramis vorbei geritten war, wendete er Berek und galoppierte mit versammelten Galopp an der Reihe der Soldaten vorbei und setzte sich neben Gauvain und Justine an die Spitze.
Die Hufe der Pferde klapperten leise auf dem kalten, feuchten Boden, und der Nebel umhüllte sie, als ob er sie in die Stille des nahenden Sturms hüllen wollte.
Ihr langer Weg führte sie durch die Wälder östlich an Mayena vorbei bis sie schließlich den Punkt erreichten, an dem laut der Späher einer der Nachschubwege der Temerier vorbeiführen sollte.
Es war ein schmaler Pfad, der sich durch die bewaldeten Hügel nördlich der Festungsstadt, schlängelte. Der dichte Nebel der noch in den Wäldern hing, behinderte die Sicht. Aramis hob die Hand, um den Trupp zum Stehen zu bringen, und spähte durch den dicken Nebel…und wartete.
Dann kamen sie endlich – die Silhouetten von Wagen, gezogen von großen Pferden, tauchte aus der weißen Wand auf.
„Alle Mann auf ihre Position!“ flüsterte Aramis. „Wir schlagen zu, bevor sie eine Verteidigung aufbauen können. Zeigt Gnade…haltet euch an die Tugenden! …Wir wollen kein unnötiges Blutvergießen. Wir tun nur, was wir tun müssen!“
Die Ritter und Soldaten formierten sich in aller Stille. Gauvain führte seine Männer zur rechten Flanke, während Justine und ihre Streiter die linke sicherten. Aramis saß hoch zu Ross und würde den Frontalangriff mit den anderen Rittern und Soldaten übernehmen. Henri, Étienne und Jaques bauten sich neben ihm auf, bereit zum Angriff.
Aramis senkte seine Lanze und mit einem plötzlichen Ruck setzte sich die Kavallerie in Bewegung. Wie ein Sturm brachen die Ritter von Toussaint aus dem Nebel hervor, ihre Lanzen gesenkt und ihre Schilde erhoben. Die Temerier, völlig überrascht, reagierten zu spät. Die ersten Wagen wurden umgerissen, Pferde scheuten, und Soldaten stürzten unter den wuchtigen Hufen der angreifenden Reiter.
Aramis führte die Spitze des Angriffs an, sein Schwert blitzte in den ersten Strahlen der Sonne, die den Nebel durchbrach, als es auf die überraschten Temerier niedersauste. Mit einem einzigen Hieb streckte er den ersten Gegner nieder, während Berek über den nächsten hinwegstürmte. Seine Männer folgten ihm dicht auf, und das Chaos breitete sich in den Reihen der Feinde aus.
Es war ein kurzes aber heftiges Gefecht. Die wenigen temerischen Soldaten, die den Angriff überlebten, flohen Hals über Kopf, während die Soldaten aus Toussaint die Wagen sicherten. Mayena würde heute ohne Nachschub bleiben. Aramis wusste, dass dieser kleine Erfolg nur der erste Schritt war – von nun an würden Sie gewarnt sein.
Aramis und seine Gefährten hatten sich in den Schatten der Wälder, in den Hügeln und Schluchten der Grenzgebiete zwischen Mayena und den kaiserlichen Linien, in lautlosen Jäger verwandelt. Wochenlang zogen sie durch die Wildnis, ohne je länger als eine Nacht am selben Ort zu verweilen. Das Ziel war einfach: Die Temerier sollten hungern, ihre Vorräte sollten nie die Stadtmauern von Mayena erreichen. Es war ein Guerillakrieg, roh und erbarmungslos, in dem jeder Fehler den Tod bedeutete.
Nach ihrem ersten Sieg über eine gut geschützte Karawane, die Nahrungsmittel und Waffen für die Truppen in Mayena transportierte, hatten sie sich einen Namen gemacht. Die Temerier begannen sie „die Geister von Toussaint“ zu nennen – lautlose Schatten, die aus dem Nichts auftauchten, zuschlugen und wieder verschwanden, bevor die Trompeten eines Hilferufs auch nur einen Laut vernehmen ließen.
Doch der Ruhm, der ihnen vorausging, kam zu einem hohen Preis. Es gab Tage, an denen der Hunger sie mehr quälte als die Gefahr durch die Temerier. Das karge Land bot wenig, und selbst Wild war rar. Kalte Nächte im Freien, ohne Feuer, um nicht entdeckt zu werden, und das ständige Gefühl, dass die Feinde ihnen dicht auf den Fersen waren, nagten an ihrer Stärke. Sie konnten keine großen Lager aufschlagen, keinen Ort des Rückzugs finden. Jede Stunde in der Stille war zugleich eine Stunde der Anspannung. Der Regen peitschte ihre Gesichter, und die wenigen trockenen Orte, die sie fanden, rochen nach modrigem Holz und Verzweiflung.
Henri, der oft witzig und wortgewandt war, sprach immer weniger, und Étienne, der junge Knappe, hatte sich unter den Strapazen in einen ernsten Mann verwandelt. Die Gespräche am Abend drehten sich nicht mehr um Heldentaten, sondern nur um das Überleben der nächsten Woche. Aramis, immer noch stolz und aufrecht, hielt seine Männer zusammen, doch selbst er konnte die Schatten der Müdigkeit nicht mehr verbergen. Jeder Tag war ein Kampf – nicht nur gegen den Feind, sondern gegen die wachsende Dunkelheit in ihren eigenen Herzen.
Und dennoch, Woche für Woche, schlugen sie zu. Kleine Karawanen, Nachschubtruppen, Kundschafter – nichts entkam ihrer Klinge. Sie schnitten die Temerier von ihren Vorräten ab und legten das Netz immer enger um Mayena. Die kaiserlichen Befehlshaber lobten sie, nannten ihre Einsätze meisterhaft, doch sie verstanden nicht, welchen Preis diese Einsätze forderten. Der Ruhm, der sie umgab, war vergänglich wie die Nebel, die über den Bergen hingen. Was blieb, war die schmerzliche Erkenntnis, dass dieser Krieg weit mehr nahm, als er je geben könnte.
Die Jagd begann schleichend, wie der Schatten eines Raubtieres, das seine Beute umkreist. Zunächst waren es nur sporadische Begegnungen, kleine Reitertrupps der temerischen Kavallerie, die den Versorgungswegen folgten, die Aramis und seine Gefährten immer wieder durch gezielte Angriffe unterbrachen. Doch bald wurde aus dem zufälligen Aufeinandertreffen ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel.
In den ersten Tagen konnten sie die Temerier noch mit Leichtigkeit narren. Henri, der stets einen scharfen Blick für das Gelände hatte, fand Verstecke in den Hügeln, zwischen den Wäldern oder hinter felsigen Klippen. „Zur Erfüllung unserer Befehle brauchen wir keinen offenen Kampf,“ pflegte er zu sagen, wenn sie wieder einmal schlagartig einen Versorgungstrupp überfielen und wie Geister verschwanden, bevor die temerischen Reiter aus ihren Lagern aufbrechen konnten. Ihre Angriffe waren so präzise, dass es schien, als ob die Temerier gegen Schatten kämpften – doch es waren Schatten, die Stahl trugen und Blut fließen ließen.
Étienne, hielt sich immer an Aramis Seite und zeigte eine wachsende Geschicklichkeit. Er war flink und unermüdlich, stürzte sich in jedes Geplänkel mit einem unerschütterlichen Glauben an den Sieg. In den seltenen Momenten der Rast, wenn das Feuer nur ein Flüstern im Wind war, saß er still da und starrte oft in die Dunkelheit.
Justine hingegen lachte oft, selbst inmitten der größten Bedrohung. Sie war wie eine Flamme, wild und unberechenbar. Ihre Präsenz war allgegenwärtig, und die Männer schauten immer wieder erstaunt, wie sie in den Gefechten regelrecht mit dem Schwert tanzte. Die Temerier begannen, sie zu fürchten, ihre furchtlosen Angriffe, ihre unerbittliche Präzision. „Die Zornige von Toussaint“, nannten sie sie, ein Name, der sich unter den Soldaten schnell verbreitete.
Doch so sehr sie sich bemühten, die Temerier blieben ihnen auf den Fersen. Zuerst waren es nur kleine Patrouillen, die ihre Lager aufspüren wollten. Bald jedoch vernahm Aramis das Hufgetrappel schwerer Reiter, die in größerer Zahl auf sie zukamen. Gauvain, sichtete sie als Erster. „Sie kommen“, sagte er eines Abends, während er über den Rand eines Hügels spähte, auf dem sie sich versteckt hielten. „Sie haben den Befehl, uns zu jagen, bis wir nicht mehr fliehen können.“
Die folgenden Tage waren geprägt von unaufhörlicher Bewegung. Sie konnten sich keinen Moment der Ruhe gönnen, mussten immer weiterziehen, immer neue Verstecke finden. Die Temerische Kavallerie blieb hartnäckig, kreiste sie ein wie ein Wolfsrudel, das seine Beute ermüdete. Aramis wusste, dass sie nicht ewig so weitermachen konnten. Der Druck stieg, und obwohl sie es selten laut aussprachen, spürte jeder die Erschöpfung in den Gliedern.
In den kleineren Gefechten, die unvermeidlich wurden, bewiesen sie jedoch immer wieder ihre Überlegenheit. Die Ritter wählten die Momente der Angriffe sorgfältig, schlugen zu, wenn die Temerier am wenigsten damit rechneten, und zog sich zurück, bevor der Feind sich organisieren konnte. Doch so meisterhaft ihre Taktiken auch waren, die Schlinge zog sich unweigerlich enger.
„Es wird nicht mehr lange dauern“, sagte Jaques eines Abends, während er sein Schwert reinigte. Sein Gesicht war schmutzig, seine Hände rau von den unzähligen Kämpfen, doch in seinen Augen lag noch immer dieser Funke von Ungebrochenheit. „Irgendwann werden sie uns stellen.“
„Vielleicht“, antwortete Aramis, der in die ferne Dunkelheit blickte, wo irgendwo die Kavalleristen lagerten. „Aber bis dahin kämpfen wir weiter. Und wir machen ihnen das Leben zur Hölle.“
Die Schlacht von Vernot
Der Morgen hatte sich in ein bleiches Grau gehüllt, als Aramis und die anderen gemeinsam um die Karte knieten, die sich auf einem flachen Stein zwischen ihnen ausbreitete. Der Nebel lag noch schwer auf der Ebene von Vernot, als wollte er die kommenden Stunden verhüllen, die unausweichlich auf sie zukamen. Kein Wort wurde gesprochen. Keiner der elf Ritter wagte es, die Stille zu brechen, die zwischen ihnen hing wie eine unsichtbare Last. Sie wussten, was bevorstand.
Aramis, dessen Finger sanft über die Linien auf der Karte glitt, blieb für einen Moment bei den sanft geschwungenen Hügeln südöstlich der Ebene stehen. Sein Blick war ruhig, doch seine Augen verrieten, dass er bereits die Möglichkeiten in den Gedanken durchspielte. „Hier“, sagte er schließlich und deutete auf einen schmalen Pfad, der sich durch die Hügel schlängelte. „Wenn die Temerier uns hierhin folgen, werden sie höchstwahrscheinlich den Pfad wählen, der durch diese Enge zwischen den Hügeln führt!“
Henri Bernard nickte. Sein Kiefer mahlte, während er den Nebel durchdrang, der sich um das Lager legte wie ein schwerer Schleier. „Wir könnten sie dort festnageln“, murmelte er. „Aber was dann? Sie sind etwa doppelt so viele wie wir. Sobald wir uns auf sie stürzen und in Nahkämpfe verwickelt werden … wird’s schwer!“
Justine, die eine der schärfsten Klingen unter ihnen führte, schnaubte leise. „Festnageln? Festnageln reicht nicht. Wir müssen sie auseinanderbrechen, bevor sie überhaupt merken, was sie erwartet.“ Ihre Augen funkelten kühl und die Wut in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Ein leises Nicken ging durch die Gruppe. Jeder der Ritter wusste, dass Justine recht hatte, auch wenn ihre Worte mehr wie eine düstere Prophezeiung klangen als eine Strategie. Doch es gab keinen anderen Weg. Der Feind war zu stark, zu zahlreich … es gab nur noch die Wahl zwischen einem Kampf hier und jetzt zu ihren Bedingungen oder den strategischen Rückzug hinter die Frontlinie zu den kaiserlichen Einheiten, was das Scheitern ihrer Mission bedeuten würde.
Die temerische Kavallerie war bekannt für ihre Disziplin und brutale Effizienz. Doch genau das war ihre Schwäche: Wie die meisten Soldaten folgten sie Befehlen. Wenn die Befehlskette zerriss und das Chaos unter ihnen Ausbrach, könnten dies der entscheidende Vorteil sein, den sie brauchten.
Aramis erhob sich. Der feuchte Boden knackte unter seinen Stiefeln, als er den Blick auf seine Gefährten richtete. „Also gut“, sagte er schließlich. „Ich schlage vor, wir nutzen das Gelände. Dort in den Hügeln werden wir sie stellen und sie glauben lassen, sie hätten uns. Justine, du führst mit deinen Soldaten die erste Welle an. Schnell, präzise, keine unnötigen Risiken.“
Justine nickte und rieb sich die Hände. „Verstanden.“
„Gauvain, du sicherst mit deinen Männern die linke Flanke hier!“ Aramis zeigte mit dem Finger auf eine Position auf der Karte. „Sobald sie Justine folgen, schlagt ihr zu. Treibt einen ersten Keil in ihre Linien und zieht euch dann zurück, bevor ihr zu sehr in Nahkämpfe verwickelt und gebunden werdet!“
Gauvain nickte zustimmend. „Was machen wir, wenn sie uns nicht in die Hügel folgen?“
„Sie werden“, sagte Aramis, mehr zu sich selbst als zu den anderen. „Sie müssen.“
Die Worte hingen für einen Moment in der Luft, bevor sie in der dichten Stille versanken.
Aramis holte tief Luft und blickte noch einmal auf die Karte. „Es gibt keinen sicheren Weg mehr, hier und heute muss es sich entscheiden“, stellte er entschlossen fest.
Henri lachte trocken. „Wir tun, was wir tun müssen. Und wenn wir fallen, dann mit wehenden Fahnen.“
Justine stieß ihm spielerisch den Ellenbogen in die Rippen. „Du bist noch nicht tot, Henri. Spar dir das Heldentum für später auf.“
Gauvain schwieg. Er hatte genug Tod gesehen, um zu wissen, dass es kein Entkommen gab, wenn es einmal so weit war. Heute würde es vielleicht einige von ihnen treffen. Vielleicht alle. Doch das war der Weg eines Soldaten. Er lebte für den Kampf, und er starb im Kampf. Da gab es keine Fragen mehr.
Die Stille kehrte zurück, nur das leise Schnauben der Pferde und das Murmeln des Windes begleiteten die Männer und Frauen, als sie sich auf ihre Positionen begaben.
Das Wetter war auf ihrer Seite, der Nebel hing immer noch schwer in der Luft, als die Ritter und ihre Soldaten ihre Positionen eingenommen hatten. Die Hufe der Pferde scharrten unruhig auf dem feuchten Boden, und jeder Atemzug war wie ein kalter Hauch in der Stille. Aramis saß hoch zu Ross, den Blick starr nach vorne gerichtet. Seine Hände umklammerten die Zügel von Berek, seinem treuen Schlachtross, während er auf das leise Zittern der Luft lauschte. Die Temerier würden bald kommen.
Gauvain saß neben ihm auf seinem Ross, das Visier seines Helms offen, die Augen weit in die Ferne gerichtet. Die Geräusche waren noch weit entfernt, kaum mehr als ein Flüstern, aber der Klang von Hufen und das gedämpfte Klirren von Stahl auf Stahl drangen wie ein unheilvolles Echo durch den Nebel.
„Es wird bald losgehen“, sagte er leise zu Aramis.
Aramis antwortete nicht sofort. Stattdessen ließ er seinen Blick über die Hügel schweifen, die wie Schatten aus dem Nebel herausragten. „Es fühlt sich immer so an“, murmelte er schließlich. „Dieser Moment vor der Schlacht. Als ob die Welt den Atem anhält.“
Gauvain nickte, aber er sagte nichts. Der Moment vor dem Sturm war der schlimmste, die quälende Ungewissheit, die lähmende Stille. Der Feind würde bald auftauchen, und dann würde es keine Zeit mehr zum Nachdenken geben, nur noch für Taten.
Aramis wandte sich zu Justine, die sich mit ihrer Truppe in den Schatten eines kleinen Hains versteckt hatte. Ihre Augen leuchteten entschlossen, als sie den Blick von Aramis auffing und leicht mit dem Kopf nickte. Sie war bereit. Die erste Welle würde von ihr geführt werden – ein schnelles, präzises Manöver, das darauf abzielte, die Temerier zu täuschen und sie zwischen die Hügel zu locken.
Aramis zog die Zügel an und brachte Berek langsam in Bewegung, sodass er vor die Ritter trat, die ungeduldig auf das Zeichen warteten. „Ihr wisst, was zu tun ist“, sagte er mit fester Stimme, die so leise war, dass sie fast vom Wind verschluckt wurde. „Wir schlagen schnell zu, zwingen sie in die Knie und ziehen uns dann zurück. Wenn sie glauben, sie hätten uns, sind sie am verletzlichsten. Das ist unser Moment.“
Étienn, der zu seiner linken ritt, hob das Kinn und klopfte mit einer Hand auf den Sattel. „Die Temerier wissen nicht, was auf sie zukommt.“
„Und genau das ist unsere Stärke“, fügte Jaques hinzu. „Wir schlagen zu – unsichtbar, aber tödlich.“
Aramis nickte noch einmal. „Keine Alleingänge! Bleibt zusammen, greift an und zieht euch zurück. Niemand spielt heute den Helden.“
Gauvain schnaubte sarkastisch, war es doch das Heldentum, was die Ritter von Toussaint am meisten anstrebten. „Das Heldentum wird warten müssen!“
„Helden enden meistens tot“, entgegnete Justine trocken.
Einige der Ritter lächelten, doch es war ein schwaches Lächeln, eines, das die Spannung nicht völlig vertreiben konnte.
Dann – wie auf ein stilles Kommando hin – brach das gedämpfte Hufgetrappel der temerischen Kavallerie durch den Nebel hervor. Der vormals ferne Klang wurde mit jedem Augenblick lauter, als sich die Reihen der Temerier näherten. Die Erde begann leicht zu zittern, und der dumpfe Ton der Hufe füllte die Stille aus, als würde ein Donner auf sie zu kommen.
Aramis blickte zu Justine und suchte den Augenkontakt. Als sie seinen Blick erwiderte hob er die Hand und senkte sie ruckartig. „Jetzt“, flüsterte er. „Es beginnt.“
Wie ein Schatten glitt Justine mit ihren Reitern aus dem Hain hervor und führte die Vorhut in einem schnellen, präzisen Angriff direkt auf die rechte Flanke der Temerier. Ihre Lanzen waren gesenkt, ihre Pferde donnernd, und im letzten Moment brach ein Schrei aus ihren Kehlen, der durch den Nebel hallte wie der Ruf eines Raubvogels.
Die Temerier waren sichtlich überrascht. Sie hatten mit Widerstand gerechnet, aber nicht mit einem direkten Angriff der Toussainti! Die ersten Reihen der feindlichen Reiter wurden aufgebrochen, einige fielen unter den Lanzen von Justine Männern, während andere ihre Pferde zur Seite zerrten, um den Frontalangriff zu entkommen.
So schnell wie der Angriff begonnen hatte, so schnell zogen sich Justine und ihre Truppe wieder zurück. Ein gezielter erster Schlag, der die Temerier aus ihrer Formation reißen sollte – und es funktionierte. Verwirrung breitete sich in den ersten Reihen der feindlichen Kavallerie aus, als sie versuchten, ihre Positionen zu halten, doch die Angreifer waren längst wieder im Nebel verschwunden, als ob sie nie dagewesen wären.
„Gut gemacht“, murmelte Aramis, während er die Szenerie beobachtete. „Jetzt Gauvain!“
Gauvain und Henri Bernard setzten sich mit ihren Männern in Bewegung, ihre Pferde trabten mit bedächtiger Vorsicht den Hang hinab, bevor sie sich in einem plötzlichen Galopp auf die linke Flanke der Temerier stürzten. Der zweite Stoß war wilder, heftiger als der erste. Die Temerier, noch dabei, sich von Justines Angriff zu erholen, waren nicht vorbereitet auf die Wucht, mit der Gauvain sie trafen.
Aramis sah, wie die feindlichen Linien zu zerbrachen. Die Disziplin, für die sie bekannt waren, begann zu bröckeln. Genau das war ihr Ziel – die Formation spalten, die Temerier dazu zwingen, in kleineren Gruppen zu kämpfen, wo sie ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht ausspielen konnten.
Der Nebel hing immer noch schwer über dem Schlachtfeld, ein unheimlicher Schleier, der die Welt in Grau tauchte. Es war, als ob die Natur selbst den Atem anhielt, während Tod und Chaos ihre Wunden über das Land zogen. Die Schreie der Verwundeten hallten durch die Luft, vermischt mit dem Donner der Hufe und dem scharfen Klirren von Stahl auf Stahl. Aramis spürte, wie sein Herz gegen seine Brust hämmerte, sein Atem kam in kurzen Stößen, als er mit seinen Männern in die Reihen der Feinde vorstieß und seine Lanze in einen feindlichen Reiter bohrte.
Es war fast unmöglich zu sehen wer Feind und Freund war – der Nebel umhüllte sie alle. Nur das Geräusch der Kämpfenden und das dumpfe Poltern der Pferdehufe ließ erahnen, von wo der nächste Angriff kommen könnte. Ein temerischer Soldat brach plötzlich aus der dichten Nebelwand hervor, das Gesicht verzerrt vor Panik. Aramis reagierte instinktiv, seine Klinge schnell und tödlich. Das Geräusch von Fleisch, das von Stahl durchtrennt wurde, war schrecklich vertraut, doch er konnte es sich nicht leisten, darüber nachzudenken. Nicht jetzt!
Er zog die Zügel an, drehte Berek scharf zur Seite und sah, wie Justine und ihre Reiter erneut aus dem Nebel schossen, diesmal von der anderen Seite. Der erneute Stoß war schnell, präzise, aber die Temerier hatten sich inzwischen ein wenig gesammelt. Schilde hoben sich, und Lanzen wurden senkrecht gestellt, doch der Überraschungseffekt wirkte immer noch. Einige fielen unter Justines Hieben, andere wichen zurück und brachen ihre Formation.
„Gut gemacht!“ brüllte Aramis, aber seine Worte wurden vom Lärm der Schlacht verschluckt.
Der Boden war feucht vom Morgentau, und das Blut, das die Erde tränkte, mischte sich mit dem leichten Regen, der nun zu fallen begann. Aramis spürte, wie der Schlamm unter Bereks Hufen spritzte, doch er hatte keine Zeit, das zu beachten. Ein weiterer Gegner tauchte neben ihm auf, die Kriegskeule über dem Kopf erhoben um Aramis Kopf zu zertrümmern. Im letzten Moment riss Aramis seinen Schild nach oben, blockte den Schlag, der ihn fast vom Pferd gerissen hätte. Der Arm, der den Schild hielt, pochte von der Wucht des Angriffs, aber er ließ sich nicht beirren. Er konterte, ließ seine Klinge über den Helm des Mannes gleiten und schnitt ihm tief in die Schulter. Der Mann fiel mit einem Schrei von seinem Pferd, und Aramis ließ ihn zurück. Überall um ihn herum hörte er das Echo der Schlacht – Schreie, verzweifelte Befehle, das klirren der Waffen.
Die Temerier versuchten sich zu sammeln, doch Gauvain und Henri, die erneut von den Hügeln angriffen, zerrissen ihre Ordnung immer wieder. Der Nebel war zu ihrem Verbündeten geworden, verhüllte die Bewegungen der Toussainti, während die Temerier in die Falle gelockt wurden. Sie konnten ihre zahlenmäßige Überlegenheit in dieser Situation wie geplant nicht nutzen, und das dichte Gelände machte es fast unmöglich, sich vernünftig neu zu formieren. Jeder Schlag, jeder Hieb der Ritter war tödlich.
Aramis spürte, wie der Schweiß ihm in den Nacken lief, obwohl der Morgen kühl war. Sein Atem kam in keuchenden Stößen, doch er durfte jetzt nicht schwächeln. „Bleibt in Bewegung!“ schrie er zu seinen Männern, seine Stimme übertönte das Geräusch von Metall auf Metall. „Lasst ihnen keine Zeit, sich zu formieren!“
Berek tänzelte nervös, doch Aramis hielt ihn fest im Griff. Ein weiterer temerischer Reiter brach durch den Nebel, sein Schwert erhoben, und Aramis sah den Hass in seinen Augen. Er spornte Berek an, raste auf den Mann zu und parierte den Schlag mit einem lauten Krachen, bevor er mit einem sauberen Rückhandhieb den Mann von der Seite traf. Blut spritzte über seinen Mantel, und der Feind fiel röchelnd zu Boden.
Aramis ließ für einen Moment den Blick über das Geschehen gleiten, überall um ihn herum kämpften seine Männer – Ritter und einfache Soldaten von Toussaint, die mit gnadenloser Effizienz vorgingen, aber auch ihre eigenen Verluste erlitten. Er sah, wie einer seiner Männer von einer temerischen Lanze durchbohrt wurde und vom Pferd stürzte. Ein weiterer Ritter Gabryell Levallet schrie kurz auf, als ein verirrter Pfeil seinen Hals durchbohrte, bevor er reglos in den Sattel sank und im Nebel verschwand.
Es war ein Tanz des Todes. Überall knirschten Lanzen gegen Rüstungen, Klingen zerschnitten Haut, und Blut ergoss sich über die Ebene von Vernot. Der Nebel verhinderte, dass er das volle Ausmaß des Chaos sah.
„Justine, zurückziehen!“ brüllte Aramis, als er sah, dass ihre Reiter zu weit vorgestoßen waren und die Temerier versuchten sie einzuschließen und ihrer Mobilität zu berauben.
Justine reagierte sofort, riss ihr Pferd herum und führte ihre Truppe zurück in den Nebel, als die Temerier ihnen nachsetzten. Es war genau das, was Aramis erwartet hatte. Die Temerier jagten ihnen blind hinterher, in kleinere Gruppen gespalten, und als sie schließlich weit genug von der Hauptgruppe getrennt waren, schlugen Justine mit ihrer Truppe erneut zu und rieben die Verfolger auf.
Aramis führte die nächste Welle mit seinen Reitern an, und diesmal war der Schock auf Seiten der Temerier verheerend … ihre Reihen fielen endgültig auseinander. Sie versuchten zu fliehen, doch es gab keinen Ausweg – überall tauchten die Toussanti auf, schlugen zu und verschwanden wieder.
Der Erfolg forderte aber seinen Preis. Aramis sah, wie einer seiner Getreuen aus Avallach, Benoît, unter dem Hieb eines temerischen Reiters fiel. Sein Schrei hallte durch die Luft, bevor er verstummte. Aramis spürte, wie der Schmerz in seiner Brust aufstieg, doch er konnte jetzt nicht anhalten. Nicht jetzt. „Vorwärts!“ schrie er, und seine Männer folgten.
Der Kampf hielt an, der Nebel, der bis dahin ihr treuester Verbündeter gewesen war, begann sich zu lichten. Die ersten Strahlen der Sonne brachen durch, als ob die Welt plötzlich Zeuge des Blutvergießens werden wollte. Die Silhouetten der Temerier wurden klarer, ihre Bewegung weniger geisterhaft, aber auch ihre Unordnung war nun unübersehbar. Die Feinde taumelten, die Reihen aufgesprengt, ihre einst geordnete Kavallerieformation war zerfallen in kleine, chaotische Gruppen, die verzweifelt um ihr Leben kämpften.
Aramis spürte den Moment kommen. Dies war der Höhepunkt, der Punkt, an dem die Schlacht entschieden werden musste – entweder würden die Temerier sich geschlagen geben und zurückziehen oder einen letzten verzweifelten Gegenangriff starten. Sein Körper brannte vor Erschöpfung, aber er wusste, dass es für Müdigkeit keinen Platz gab. Das Schwert in seiner Hand fühlte sich schwerer an, und der Schweiß brannte in seinen Augen. Er hatte keine Ahnung, wie viele Männer er bereits niedergestreckt hatte, doch der Kampf schienen endlos zu sein.
„Jetzt! Jetzt schlagt zu!“ schrie er, seine Stimme heiser, aber durchdringend genug, um seine Männer zu erreichen. Gauvain, Henri und die Anderen reagierten sofort, sammelten ihre verbliebenen Männer und richteten sich für den entscheidenden Schlag auf.
Jaques, sein alter Freund, war an seiner Seite, seine Augen leuchteten vor Entschlossenheit. Seine Kriegskeule war blutverschmiert, und sein Atem ging schwer, aber er nickte Aramis zu, bereit, alles zu geben. Gemeinsam führten sie die letzte Welle des Angriffs an, und diesmal würde es kein Zurück mehr geben.
Die Temerier hatten sich hastig formiert, versuchten, eine letzte Verteidigungslinie zu bilden, aber es war zu spät. Aramis sah, wie Gauvain mit einem donnernden Galopp durchbrach, seine Lanze direkt auf einen temerischen Offizier gerichtet. Der Aufprall war brutal, und der Offizier wurde aus dem Sattel geschleudert, bevor er regungslos im Schlamm liegen blieb.
Jaques folgte dicht hinter Aramis, seine Keule schwang mit unbarmherziger Wucht. Mit einem gewaltigen Schlag zertrümmerte er einem temerischen Reiter den Arm, bevor er dessen Pferd rammte und Ross und Reiter zu Boden brachte. Die Schreie der Verwundeten mischten sich mit dem metallischen Klang der Waffen, und die Luft war erfüllt von dem unverkennbaren Geruch nach Blut und Schweiß.
Aramis kämpfte sich durch die Reihen der Temerier, spürte jeden Schlag wie ein Echo in seinen Knochen. Sein Schwert fand immer wieder das Fleisch seiner Feinde, aber es waren zu viele. Für jeden gefallenen Temerier schien ein anderer aufzutauchen, blind vor Verzweiflung, entschlossen, seine Kameraden zu rächen. Ein junger Ritter aus Toussaint, Bastien de Bederot, kaum älter als fünfundzwanzig, schrie auf, als eine temerische Klinge eine Lücke in seiner Rüstung fand und ihm das Leben aus seinem Körper riss.
Aramis konnte sich keine Sentimentalität leisten. Der Höhepunkt der Schlacht war gnadenlos. Die Temerier waren schwer angeschlagen, aber sie kämpften wie in die Ecke gedrängte Tiere. Aramis hörte den dumpfen Aufprall eines Schwerts auf seinen Schild und konterte sofort, sein Schwert bohrte sich tief in die Brust des feindlichen Soldaten.
„Zerbrecht sie!“ brüllte er, während er seine Klinge mit einem wilden Ruck aus dem toten Körper befreite. „Jetzt!“
Justine schoss an ihm vorbei, ihre Reiter folgten dicht hinter ihr. Der finale Angriff war in vollem Gange, und der Himmel füllte sich mit dem lauten Gebrüll der Kämpfenden. Die Ritter von Toussaint fielen über die übrig gebliebenen Temerier her wie Raubtiere, die ihre Beute umzingelten.
Aramis sah, wie Gauvain einen weiteren Reiter niederstreckte. Für einen Moment schien der Ritter, den er so gut kannte innezuhalten, als ob er versuchte die Sinnlosigkeit des Gemetzels zu begreifen. Seine Augen, die in den Kampf vertieft waren, verloren für einen Augenblick den Fokus, als ob er die Geister all der Männer spürte, die sie heute auf diesem Feld zurücklassen würden. Aber der Moment verging schnell – Gauvain hob erneut sein Schwert und stürzte sich in das Chaos.
Plötzlich hörte Aramis ein lautes Horn. Die Temerier, die noch in der Schlacht standen, drehten sich um. Ihre Gesichter waren von Erschöpfung gezeichnet, aber in ihren Augen lag ein Funke Hoffnung.
„Bleibt zusammen!“ rief Aramis, während er Berek herumdrehte, um zu erkennen, wer dort heranstürmte. Aus dem fernen Nebel tauchten dunkle Gestalten auf.
Aramis‘ Herz schlug schneller, doch er wusste, dass er seinen Männern Stärke zeigen musste. „Zieht euch nicht zurück!“ rief er und hob sein Schwert hoch in die Luft. „Wir beenden das hier und jetzt!“
Als sich die dunklen Gestalten aus dem Nebel lösten, erkannte Aramis schwer gepanzerte Reiter, ihre Banner hoch erhoben – schwarze Fahnen mit einem silbernen Skorpion, das Zeichen der VII. Daerlanischen Brigade, wenn er sich nicht irrte … es waren kaiserliche Soldaten! … Die Verstärkung kam nicht für die Temerier!
Mit einem donnernden Galopp stürmten die nilfgaardischen Reiter heran, der unbarmherzige Rhythmus ihrer Hufe brach durch das Schlachtfeld wie eine Flut. Die Temerier, die schon schwer gebeutelt waren, verfielen endgültig in Panik. Ihre Gesichter, die zuvor noch von einem Funken Hoffnung erleuchtet gewesen waren, erbleichten jetzt vor Furcht. Aramis spürte die Erleichterung in seiner Brust, doch er wusste, dass die Schlacht noch nicht vorbei war.
„Kämpft weiter! Wir dürfen jetzt nicht nachlassen!“ rief Aramis mit fester Stimme.
Die kaiserlichen Reiter brachen in die hinteren Reihen der Temerier. Die feindlichen Reiter, nun völlig aufgesprengt, versuchten, sich zu formieren, aber es war vergebens. Der Anblick der schwarzen Banner und der silbernen Skorpione auf ihren Rüstungen schien den letzten Funken Widerstand aus ihnen zu vertreiben. Einige warfen ihre Waffen nieder und ergaben sich, während andere verzweifelt versuchten, zu fliehen.
Aramis spornte Berek an und stürzte sich erneut in den Kampf. Sein Schwert lag schwer in seiner Hand, aber die Aussicht auf den Sieg trieb ihn vorwärts.
„Wir sind keine Bestien!“ schrie Aramis seinen Männern zu. „Gnade walten lassen!“
Die Tugenden, an die die Ritter von Toussaint glaubten, waren in diesem Moment entscheidend. Trotz des Blutes, das über die Ebenen von Vernot floss, trotz der Schreie und des Chaos durften sie nicht die Ehre vergessen, die sie als Ritter auszeichnete. Der Sieg bedeutete nicht das unbarmherzige Abschlachten.
Die Temerier, die sich ergaben, wurden gefangen genommen, ihre Waffen niedergestreckt. Doch jene, die noch kämpften, jene, die versuchten, ihre Kameraden zu rächen, wurden ohne Zögern niedergestreckt. Der Klang der Waffen und die verzweifelten Schreie der Sterbenden füllten die Luft, während die Kaiserlichen die letzten Reste des feindlichen Widerstands zerschlugen.
Aramis kämpfte sich durch die verbliebenen feindlichen Streiter, sein Schwert tanzte durch die Luft, während er einen weiteren Temerier niederstreckte. Neben ihm hörte er Jaques keuchen, als eine Axt seinen Schild traf. Doch Jaques konterte mit brutaler Effizienz, schickte den Feind in den Staub.
Plötzlich tauchte Gauvain auf, sein Schwert erhoben, sein Blick finster. Blut rann aus der alten Wunde an seiner Schulter und bedeckte seine Rüstung mit einem roten Schimmer. Der Ritter hielt inne, als ein gegnerischer Offizier vor ihm auf die Knie fiel und um Gnade flehte. Gauvain, der sichtlich unter der Last des Kampfes litt, senkte langsam sein Schwert.
„Geh“, sagte er leise. „Dein Kampf ist für dich zu Ende!“
Der Offizier, zitternd vor Angst, stammelte ein Dankeswort und stolperte rückwärts und lief davon. Aramis beobachtete die Szene aus der Ferne, ein Anflug von Erleichterung auf seinem Gesicht. Es war genau dieser Unterschied, der die Ritter von Toussaint auszeichnete – Ehre, selbst im Angesicht des Todes.
Doch es gab immer noch genug Temerier, die nicht bereit waren, aufzugeben.
Aramis sah, wie die kaiserlichen Reiter weiter vordrangen, die Reihen der Temerier in Blut tränkten. Die Schlacht war vorbei, aber die vereinzelten Kämpfe wurden härter, gnadenloser, als die letzten verbliebenen temerischen Offiziere versuchten, ihre Männer zu sammeln.
Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel und hatte den Nebel endgültig vertrieben. Die Schreie der Sterbenden verklangen langsam, und der Klang der Waffen ebbte ab, bis nur noch das dumpfe Dröhnen der Hufe der kaiserlichen Reiter zu hören war.
Schließlich stand Aramis keuchend auf dem Feld, das Schwert noch immer in der Hand. Er konnte nun das volle Ausmaß des Gemetzels sehen. Leichen lagen verstreut, Pferde und Männer gleichermaßen. Das Blut der Gefallenen tränkte den Boden, und der Wind trug den Geruch von Eisen und Verzweiflung mit sich.
Aramis spähte zu den kaiserlichen Reitern hinüber, die sich nun formierten. Ihr Kommandant, ein großer Mann in schwarzer Rüstung mit einem silbernen Skorpion auf der Schulter, ritt auf ihn zu.
„Ihr habt gut gekämpft“, sagte Kommandant Sievers mit rauer Stimme, Aramis erkannte den Mann jetzt wieder.
Aramis nickte, zu erschöpft, um viel zu antworten. „Habt Dank!“, murmelte er schließlich. „Die Schlacht stand auf Messers Schneide, bevor ihr gekommen seid!“
„Chevalier!“ Die Stimme von Kommandant Sievers klang rau, fast emotionslos, als ob er das Blutvergießen ohne jegliches Mitgefühl beobachtet hätte. „Ich hoffe, ihr versteht, dass dies nicht das Ende ist. Die Temerier haben sich zurückgezogen, aber sie werden zurückkehren, wenn wir sie jetzt nicht vollständig vernichten.“
Aramis sah ihm fest in die Augen. „Wir haben sie geschlagen. Sie sind geschwächt. Ein weiteres Blutvergießen wird nichts mehr daran ändern.“
Justine und Gauvain ritten an seine Seite, bereit sich gegen die kaiserlichen zu stellen, je nachdem, wie sich die Situation entwickelte.
Der Kommandant der Kaiserlichen verzog keine Miene. „Ihr seid ein Mann der Ehre, Chevalier. Das weiß ich. Aber Ehre allein gewinnt keine Kriege. Die Temerier werden sich reorganisieren, und der Kaiser hat befohlen, dass diese Kampagne hier in Temerien schnell und endgültig beendet wird.“
Aramis ließ seine Hand auf den Griff seines Schwertes sinken, nicht bedrohlich, sondern instinktiv, als Zeichen seiner Entschlossenheit. „In Toussaint halten wir uns an die Tugenden, wir vergießen nicht unnötig Blut!“
„Toussaint“, entgegnete Sievers scharf, „gehört zum Imperium. Ihr kämpft unter unseren Bannern, ob ihr es wollt oder nicht. Der Kaiser erwartet Loyalität. Ihr habt in dieser Schlacht gute Arbeit geleistet, aber es wird keine Gnade für Temerien geben.“
Aramis spürte, wie sich die Spannung um ihn herum verdichtete. Die Ritter von Toussaint waren nicht gekommen, um Temerien niederzubrennen oder seine Bevölkerung zu vernichten. Sie waren gekommen, um einen Sieg zu erringen, der auf Ehre und Tapferkeit beruhte. Doch die Kaiserlichen waren hier mit einem anderen Ziel – sie wollten Temerien auslöschen, den Krieg beenden, indem sie das Land völlig unterwarfen.
„Die Temerier, die hier gestritten haben sind besiegt“, sagte Aramis ruhig, aber seine Stimme bebte vor unterdrückter Wut. „Es verlangt die Ehre, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, sich zu ergeben. Eine endgültige Vernichtung der Männer ist unnötig und falsch!“
Der Kommandant hielt inne, seine kalten Augen auf Aramis gerichtet. „Die Entscheidungen des Kaisers werden nicht von Sentimentalität bestimmt, Chevalier. Es geht um Macht, um Ordnung … und ihr werdet eure Befehle befolgen. Oder habt ihr vor, euch gegen den Kaiser zu stellen?“
Justine ritt vor und platzierte sich neben den kaiserlichen Offizier und schaute ihn scharf an. „Wenn die Temerier bereit sind, sich zu ergeben, werden wir Gnade walten lassen. Wir sind keine Mörder.“
Sievers betrachtete Justine einen Moment lang schweigend.
„Gnade“, flüsterte Aramis eindringlich. „Das ist der einzige Weg!“
Der Kommandant sah ihn an, als würde er über Aramis‘ Worte nachdenken. Schließlich wandte er sich ab, gab ein kurzes Signal, und die kaiserlichen Truppen senkten ihre Waffen.
„Eure Gnade mag heute siegen, Chevalier!“, sagte Sievers leise, ohne sich umzudrehen. „Aber denkt daran: Gnade ist im Krieg eine seltene Tugend. Seid bereit, dass sie euch eines Tages den Tod bringt.“
Nach der Schlacht
Im provisorisch aufgebauten Lager herrschte eine unheimliche Stille. Das Geräusch von Metall, das auf Metall traf, und die Schreie der Verwundeten waren verstummt, die Erschöpfung der Männer und Frauen war in jeder ihrer Bewegungen spürbar.
Aramis saß auf einem niedrigen Schemel vor seinem Zelt, seine Rüstung halb abgelegt, während Justine neben ihm stand, die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Blick über das Lager schweifend. Die Überlebenden, Ritter und einfache Soldaten gleichermaßen, kümmerten sich um die Verwundeten, während die Heiler fieberhaft arbeiteten, um Leben zu retten. Doch für viele war jede Hilfe zu spät gekommen.
„Es waren zu viele“, murmelte Aramis und rieb sich die Schläfen. „Zu viele haben ihr Leben gelassen.“
„Ja“, stimmte Justine zu, ihre Stimme klang hohl. „Sie haben ihre Pflicht erfüllt, sie sind nicht umsonst gestorben“
Aramis seufzte tief. „Das hoffe ich. Aber es fühlt sich nicht richtig an.“
„Wie steht es um die Verletzten?“ fragte Aramis nach einer Weile und wandte sich an Henri, der mit einer Liste auf ihn zutrat.
„Es sind soweit alle versorgt“, antwortete Henri müde, seine Stimme rau von der Anstrengung der letzten Stunden. „Die Heiler sagen, dass viele überleben werden, aber… es gibt auch einige, die nicht mehr lange unter uns weilen werden.“
Aramis nickte „und die Toten?“
Henri Blick schweifte zu einer großen Fläche. „Die Toten wurden in Ehren eingehüllt, wie es die Tradition verlangt. Jeder Ritter, jeder Soldat, der gefallen ist, ist bereit die letzte Ehre zu erhalten. Wir werden sie morgen beerdigen.“
Aramis schwieg einen Moment. Die Vorstellung, dass so viele, die er kannte, nun in kalter Erde ruhen würden, brachte ihm einen bitteren Geschmack in den Mund. „Wir müssen sicherstellen, dass sie in Toussaint angemessen geehrt werden, wenn wir zurückkehren. Ihre Namen werden nicht vergessen!“
Justine trat näher und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir werden uns um ihre Familien kümmern, Aramis. Du trägst diese Bürde nicht allein.“
Er nickte und warf einen Blick zum fernen Horizont, wo das Feuer der kaiserlichen Lager in der Dunkelheit flackerte. „Die Kaiserlichen werden uns weiter in diesen Krieg treiben“, sagte er leise … Justine und Henri nickten zustimmend.
Wintereinbruch
Die Wochen vergingen zäh und schleppend, wie ein Schatten, der sich über das geschundene Land legte. Die Ritter von Toussaint, stark dezimiert nach der Schlacht bei Vernot, führten nun in kleinerer Zahl Scharmützel gegen die Nachschublinien der Temerier. Doch diese Angriffe fühlten sich zunehmend vergeblich an. Kein ernsthafter Versuch, die Festung Mayena mit Vorräten oder Verstärkungen zu versorgen, war mehr unternommen worden. Es war, als ob die Temerier aufgegeben hätten, als ob die Hoffnung aus ihnen gewichen war.
Aramis und seine verbliebenen Männer durchkämmten die Hügel, lauerten auf versteckte Konvois, zerstörten die wenigen Versorgungswagen, die sie fanden, aber die Tage verstrichen wie Sand durch die Finger, ohne dass ein großer Erfolg greifbar wurde. Was ihnen blieb, war Müdigkeit, körperlich und seelisch.
Der Winter begann früh hier im Norden. Die ersten Schneeflocken fielen leise, doch bald wurden sie zu dichten Vorhängen, die die Landschaft in eine trostlose, weiße Wüste verwandelten. Die Pfade wurden unpassierbar, der Waldboden und die Ebenen waren hart gefroren. Der Wind schnitt ihnen ins Gesicht, und die Kälte war gnadenlos. Was übrig geblieben war von der einst stolzen Reiterei von Toussaint, war nun ein umherziehender Haufen, der versuchte, die wenigen Vorräte warm zu halten und sich durch den Winter zu kämpfen.
Eines kalten Morgens, als die Sonne blass hinter dicken Wolken hervor schien und der Atem der Männer in weißen Wolken vor ihren Gesichtern hing, erreichte sie schließlich ein erschöpfter Bote mit einem versiegelten Brief.
Aramis erkannte das Siegel sofort: Es war von Feldmarschall Menno Coehoorn persönlich.
Er brach das Siegel und las die knappen Worte mit zusammengezogenen Brauen. Die Belagerung muss unterbrochen werden. Alle Einheiten sollen sich ins Hauptlager der Heeresgruppe Mitte südlich von Mayena zurückziehen. Der Wintereinbruch zwingt uns, die Plänen zu ändern.
Aramis senkte das Pergament und fühlte die Enttäuschung in seiner Brust. Wochen des Kämpfens, des Hoffens auf einen entscheidenden Sieg bei der Belagerung, der jetzt in der Kälte des Winters und in der Unbeweglichkeit der Frontlinie erstickt wurde. Es gab keine Aussicht auf einen baldigen Sieg und damit auch keine Hoffnung auf eine baldige Rückkehr nach Toussaint. Die Temerier hatten zwar keine Versorgung mehr erhalten, doch sie hatten sich in ihrer Festung eingeigelt, wo sie den Winter überdauern konnten.
„Was sagt er?“ fragte Justine, die an seine Seite trat und ihn mit ernster Miene ansah.
„Wir brechen ab,“ murmelte Aramis, immer noch auf den Brief starrend. „Die Belagerung wird unterbrochen. Wir sollen uns ins Hauptlager zurückziehen.“
Justine verzog das Gesicht, ihre Lippen schmal vor Unzufriedenheit. „Wir hatten sie fast. Noch ein paar Wochen… vielleicht hätten sie kapituliert.“
„Vielleicht“, stimmte Aramis zu, doch er wusste, dass der Winter die härtere Realität war. „Aber wir haben keine Wahl. Der Winter hat uns im Griff. Wenn wir hierbleiben, verhungern und erfrieren wir, lange bevor die Temerier aufgeben, die Entscheidung des Feldmarschalls ist sicher die richtige.“
Gauvain trat zu ihnen, „und was dann?“ fragte er leise. „Wird es im Frühjahr weitergehen? Oder war all dies umsonst?“
Aramis konnte darauf keine Antwort geben. Die Politik, die weit hinter den Frontlinien geschmiedet wurde, war ihm fern. Sie kämpften hier, führten ihre Befehle im Sinne des Kaiserreiches aus, doch was in den Köpfen der Generäle und Feldmarschälle vorging, war ein anderes Spiel. „Das ist nicht unsere Entscheidung“, sagte er schließlich, den Blick fest auf seine Freunde gerichtet. „Aber für jetzt schlage ich vor, das wir tun, was uns befohlen wird – zudem bin ich die Kälte hier wirklich leid.“
Die Nachricht verbreitete sich schnell im Lager. Die Männer, die sich bis dahin in einem Zustand zwischen Wachen und Erschöpfung befunden hatten, bereiteten sich auf den Marsch vor. Das provisorische Lager wurde abgebaut, die Vorräte verstaut, die Pferde mit noch mehr Decken vor der Kälte geschützt, und die Zelte abgebaut. Als sie soweit waren, gab Gauvain das Zeichen für den Marsch Richtung Süden.
In dieser Kälte, die jede Hoffnung erstickte, musste sich Aramis eingestehen, dass der Ausblick auf ein wärmendes großes Feuer und eine warme Suppe im zentralen Lager der Kaiserlichen zumindest ein kleiner Hoffnungsblick war.
Winter
Die Wintermonate im Zentrallager südlich von Mayen waren eine Prüfung für Geduld und Durchhaltevermögen. Der Schnee bedeckte das Land wie ein Leichentuch, und die eisigen Winde, die aus den Bergen herabfegten, ließen die Kälte in die Knochen kriechen. Die Männer von Toussaint, zusammen mit den restlichen Truppen der Heeresgruppe Mitte, waren an einen Punkt gekommen, an dem es keine Schlachten mehr zu schlagen gab. Nur das Warten – auf den Frühling, auf neue Befehle, auf irgendeine Art von Veränderung.
Die Tage verliefen monoton, das Leben im Lager war einfach, aber auch hart. Die Vorräte wurden knapp, die Mahlzeiten waren fad und eintönig, und die Kälte nagte unbarmherzig an allem. Doch die Soldaten wussten, dass es nichts nützte, zu klagen. Die Erschöpfung des Feldzugs lag ihnen noch in den Gliedern, und nun mussten sie mit dem klarkommen, was sie hatten.
Es war aber nicht nur eine Zeit der Entbehrungen. Es gab auch schöne Momente, die wie kostbare Juwelen inmitten des eisigen Winters schimmerten. Abende am Lagerfeuer, wenn die Wachen ihre Runden drehten und der Schnee leise auf die Zelte rieselte, waren oft die einzigen Lichtblicke in der langen Dunkelheit. Die Ritter und Soldaten, so unterschiedlich sie auch waren, fanden im gemeinsamen Kampf und in der gemeinsamen Kälte eine seltsame Kameradschaft. Manchmal erzählten sie sich Geschichten – alte Legenden von Toussaint, Mythen aus den Kaiserlanden oder sogar derbe Anekdoten aus ihren eigenen Dörfern. Gauvain, erwies sich als begnadeter Erzähler, der die Männer mit seinen epischen, aber oft auch humorvollen Geschichten über vergangene Abenteuer und verpasste Gelegenheiten fesselte.
Aramis saß oft dabei und ließ sich gerne zu einem Grinsen hinreißen, wenn Gauvain wieder einmal über die „Unvorhersehbarkeit des Lebens“ philosophierte.
Der Höhepunkt des Winters war jedoch der Tag der Wintersonnenwende. In der dunkelsten Zeit des Jahres war dieser Tag ein Symbol der Hoffnung und so kam es auch, dass in der kalten, glitzernden Stille des frühen Morgens, als der Schnee unter den Stiefeln der Patrouillen knirschte und die Luft eisiger war als sonst, ein kleiner Konvoi aus Toussaint ihr Lager erreichte.
Die Wagen hatten Vorräte für sie aus der Heimat dabei, aber nicht nur das Nötigste wie bei den Lieferungen der kaiserlichen – nein – es gab guten Wein, leckeres Brot, feinste Wurstwaren, Käse und sogar Früchte, sorgfältig verpackt, um die Reise zu überstehen. Die Männer von Toussaint, die die Monate über von mageren Rationen gelebt hatten, konnten ihr Glück kaum fassen.
„Das… ist wie ein Traum“, flüsterte Jaques, als er die Deckel der Kisten hob und den Duft der Leckereien einatmete.
Aramis konnte das Lächeln nicht unterdrücken, als er eine Flasche mit rubinrotem Wein in den Händen hielt. „Sie haben uns nicht vergessen.“
Die Stimmung im Lager verwandelte sich an diesem Tag. Die Dunkelheit, die so lange über ihnen gehangen hatte, wich an diesem Tag einem warmen heimatlichen Gefühl.
Am Abend der Wintersonnenwende, als das Lagerfeuer größer und heller brannte als sonst, wurde gefeiert. Es war keine verschwenderische Feier, aber inmitten der Kälte fühlte sich der Wein wärmer an, das Lachen echter, und die Geschichten, die erzählt wurden, trugen den süßen Geschmack von Hoffnung.
„Jetzt ist die dunkelste Nacht des Jahres“, sagte Gauvain, der den Kelch hob und in die Runde blickte, „von jetzt an wird der Frühling kommen. Und mit ihm wird unser Land wieder erblühen.“
Aramis stand neben ihm, die Hitze des Feuers auf seinem Gesicht und den Kelch in der Hand. Er sah seine Leute – weniger als zu Beginn des Feldzugs, aber jeder Einzelne von ihnen trug die Narben und den Stolz dessen, was sie gemeinsam durchgemacht hatten. Der Krieg war noch nicht vorbei, und der Frühling würde sicherlich neue Herausforderungen bringen. Aber in diesem Moment, an diesem Abend, war alles ruhig. Es gab keinen Feind in Sicht, keine Schlacht zu schlagen, nur den Frieden eines Winterabends in der Fremde, fernab der Heimat.
Die Frühlingsoffensive
Der Winter war endlich vorüber. Der eisige Griff, der die Welt monatelang gefesselt hatte, begann sich zu lösen. Schneeschmelze verwandelte das Land in ein Meer aus Matsch, und die ersten grünen Knospen brachen durch den frostigen Boden. Der Frühling kündigte sich an, nicht nur mit seinen Blüten und Farben, sondern auch mit einer neuen Offensive. Das Heerlager erwachte zu neuem Leben. Die Heeresgruppe Mitte, die lange in den Wäldern südlich von Mayena stationiert gewesen war, rüstete sich für den nächsten großen Schlag – die erneute Belagerung der Festungsstadt.
Feldmarschall Menno Coehoorn hatte bereits in den letzten Tagen die Boten entsandt. Die Armeen sollten sich sammeln, und bald würde die Belagerung fortgesetzt werden.
Aramis stand vor seinem Zelt, die warme Frühlingssonne auf seinem Gesicht. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte sich die Welt nicht mehr so lebensfeindlich an. Der Geruch von nassem Leder und Eisen hing in der Luft, während die Soldaten aus Toussaint ihre Ausrüstung bereit machten.
So auch Étienne, sein junger Knappe, der die Zeit im Winter genutzt hatte, um die Rüstung seines Herrn auf Vordermann zu bringen und diese nun polierte. Der Winter hatte Étienne verändert – aus dem Jungen der vor Monaten in den Feldzug aufgebrochen war, war ein erfahrener Mann geworden. Seine Augen waren ernster, sein Verhalten sicherer.
„Hast du die Sättel überprüft, Étienne?“ fragte Aramis, als er den Blick über die sich formierenden Truppen schweifen ließ.
„Ja, Herr“, antwortete Étienne mit einem Nicken. „Und die Waffen sind ebenfalls scharf. Ich habe alles überprüft.“
Aramis legte seinem Knappen eine Hand auf die Schulter und musterte ihn. „Du machst das gut. Bald wirst du mehr sein als nur ein Knappe.“ Étienne errötete leicht unter der Anerkennung, aber er sagte nichts, sondern wandte sich wieder der Rüstung zu. Aramis wusste, dass Étienne in den kommenden Schlachten erneut seinen Mut beweisen würde.
Weiter hinten im Lager hörte man lautes Gelächter – Henri und Jacques, die beiden Haudegen, waren gerade dabei ihre Pferde zu satteln und erzählten sich dabei lustige Anekdoten, die sie von kaiserlichen Soldaten aufgeschnappt hatten. Sie beide schienen mit Einbruch des Frühlings neue Motivation gefunden zu haben.
Gauvain und Justine, standen auf einem kleinen Hügel in der Nähe des Lagers. Ihre Blicke ruhten auf dem Horizont, wo die Banner der Temerier auf den Türmen der Festungsstadt Mayena zu sehen waren.
„Bald beginnt es wieder“, sagte sie leise und legte eine Hand auf den Arm ihres Freundes.
Gauvain nickte zustimmend während der Wind sanft durch die jungen Blätter wehte. Der Frühling war gekommen, mit ihm das Leben, das überall um sie herum erblühte. Die Vögel sangen, die Wiesen waren grün, und doch – der Krieg hielt sie gefangen.
Ein leiser Seufzer entwich seinen Lippen, während er eine Hand über das frische Gras streichen ließ. „Es ist seltsam“, sagte er, „der Frühling bringt das Leben zurück, überall erwacht die Welt aus ihrem Winterschlaf. Und wir… wir sind hier, um dieses Leben gleich wieder zu nehmen.“
Der Kontrast fühlte sich fast grausam an. Das Erwachen der Natur, der Duft von Blumen, der das Versprechen von Neubeginn trug, und doch das unaufhaltsame Schlachten, das sie verfolgte. „Wie viel Leben“, fragte er Justine, „haben wir schon ausgelöscht? Wie viele Familien sind zerstört, während die Welt ringsum in ihrer Schönheit erstrahlt?“
Justine schloss für einen Moment die Augen, während sie seinen Worten lauschte. Sie atmete tief ein, den Duft der Blumen und der feuchten Erde in sich aufnehmend. „Vielleicht“, sagte sie schließlich leise, „ist das der größte Widerspruch, den wir je erfahren werden. Der Frühling lehrt uns, wie kostbar das Leben ist. Aber der Krieg… der zeigt uns, wie leicht es vergeht.“
Sie öffnete die Augen und blickte hinauf zu den sanft wiegenden Ästen über ihnen. „Es ist grausam, ja, und doch unvermeidlich. Ich frage mich oft, ob wir wirklich das Recht haben, über Leben und Tod zu entscheiden.“ Sie drehte sich zu Gauvain und ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Aber wir haben eine Aufgabe. Wir dienen der Herzogin und wenn sie es für notwendig erachtet, damit unsere Heimat sicher bleibt, dann müssen wir wohl das nehmen, was wir ansonsten schützen.“
Der Zug nach Mayena war kein weiter, aber es dauerte noch einen ganzen weiteren Tag, bis die Vorbereitungen für die Belagerung beendet waren. Aramis konnte den ungeduldigen Blick des Feldmarschalls sehen, der fest entschlossen war, den Frühling mit einem entscheidenden Sieg einzuläuten.
Der Fall von Mayena
Der Fall von Mayena war unausweichlich geworden. Tagelang hatten die Belagerungsingenieure ihre Arbeit getan. Sie hatten die gewaltigen Katapulte und Triböcke in Stellung gebracht, und Tag für Tag schlugen die schweren Geschosse in die Mauern der Festungsstadt ein. Trotz des ständigen Dröhnens und der Erschütterungen war es eine Zeit des Wartens – ein zermürbendes, nervenaufreibendes Abwarten, während die Soldaten von Toussaint zusahen, wie die Verteidigung der Festung Stück für Stück zerbröckelte.
Aramis stand auf einer kleinen Anhöhe, von dem aus er die Festung überblicken konnte. Der Frühling hatte das Land zwar wieder zum Leben erweckt, aber auf diesem Schlachtfeld war von der erwachenden Natur wenig zu spüren. Der Boden war vom ständigen Auf- und Abmarsch der Truppen in Schlamm und Staub verwandelt, und die Luft war erfüllt von der Spannung, die einem bevorstehenden Sturm glich.
„Es wird bald soweit sein“, sagte Henri, der neben ihn getreten war die Hände ruhig auf dem Schwertknauf ruhend.
Aramis nickte. „Die Mauer zeigt dort und hier schon erste Risse! Und wenn sie fällt, wird es kein Halten mehr geben. Sind die Männer bereit?“
Henri drehte den Kopf zu Aramis. „Ja, sie sind bereit in die Bresche zu stürmen!“
Es war früh am Morgen des nächsten Tages, die Sonne schickte ihre ersten Strahlen über das Feld, als ein gewaltiger Riss in der Westmauer der Stadt entstand. Aramis und Étienne hörten das donnernde Krachen, das über das Schlachtfeld hallte, und kurz darauf drangen die Rufe der Truppenführer zu ihnen.
„Die Mauer ist gebrochen!“ rief ein Bote, der aufgeregt auf einem Pferd herangaloppierte. „Feldmarschall Coehoorn gibt den Befehl zum Angriff!“
Aramis spürte, wie sein Herz schneller schlug. Dies war der Moment, auf den sie gewartet hatten. Die kaiserlichen Truppen würden sich in die Bresche werfen, um die Stadt zu stürmen und die Ritter aus Toussaint würden mitten unter ihnen sein.
„Étienne, bist du bereit?“ fragte Aramis, als er sich in den Sattel schwang.
Der junge Knappe, nickte entschlossen. „Ich bin bereit, Herr.“
Sie reihten sich in die erste Welle der Angreifer ein. Gauvain und Justine warteten bereits, ihre Rüstungen funkelten im Morgenlicht.
„Es ist so weit“, sagte Gauvain, als er neben Aramis ritt. „Heute holen wir sie uns.“
„Mayena wird fallen“, erwiderte Justine mit grimmigem Lächeln. „Aber leicht wird das nicht, die Bresche ist nicht sonderlich groß!“
Henri, der nie um einen Kommentar verlegen war, grinste breit. „Leicht? Das wäre ja langweilig.“
Dann erklang das Horn und Der Sturm auf die Bresche begann … und das Morden und Töten begann von neuem. Der Lärm des Angriffs war überwältigend – das Klirren der Waffen, das Brüllen der Männer und das Wiehern der Pferde.
Jutine sollte recht behalten, es dauert lange, bis sie es schafften die Bresche zu nehmen, die Temerier warfen ihnen alles entgegen, was sie noch hatten, aber es war nicht genug, um den Druck der Imperialen stand zu halten.
Die Straßen von Mayena waren ein Labyrinth aus Barrikaden und improvisierten Verteidigungsstellungen, doch die Angreifer ließen sich davon nicht mehr aufhalten. Aramis und seine Männer kämpften sich unbeirrt durch die Verteidiger. Sie fühlten sich wie eine unaufhaltsame Kraft, die Klingen blitzten in der Sonne, und die Temerier fielen vor ihnen zurück.
„Vorwärts! Für Toussaint!“ rief Aramis, als er mit Berek sich über die nächste Barrikade hinwegsetzte.
Die Verteidiger von Mayena kämpften verzweifelt, doch die Niederlage war besiegelt. Die kaiserliche Infanterie, drang immer tiefer in das Herz der Stadt vor. Die Straßen füllten sich mit den Rufen der Verwundeten und den Befehlen der kaiserlichen Offiziere.
Schließlich erreichten sie den zentralen Platz der Stadt. Die Temerier zogen sich in Richtung der letzten verbliebenen Bastion zurück, aber sie saßen in der Falle es war nur noch eine Frage der Zeit, bis auch diese genommen werden würde. Die Mauern waren gefallen, die Stadt lag offen – Mayena war erobert.
Aramis saß auf seinem Schlachtross, das Schwert in seiner Hand immer noch blutverschmiert.
„Es ist vorbei“, seufzte Aramis leise zu seinen Männern, während der Rauch der brennenden Barrikaden in den Himmel stieg. „Mayena ist unser!“
Der Zug nach Brenna
Die kaiserlichen Truppen rückten unaufhaltsam vor. An allen Fronten waren die Armeen des Kaiserreichs erfolgreich – die Festung Mayena war gefallen, und die Temerier waren auf dem Rückzug. Immer wieder ritten Aramis und die anderen Ritter zusammen mit anderen schweren Kavallerieverbänden der kaiserlichen Streitkräfte Angriffe gegen die feindlichen Stellungen. Immer wieder rollten sie wie eine gewaltige Lawine über die temerischen Truppen hinweg, die sich ihnen in den Weg stellten. Es schien, als gäbe es nichts mehr, dass den Vormarsch Nilgaards Einhalt gebieten konnte.
„Ich hätte nie gedacht, dass es auf einmal so schnell gehen würde“, sagte Gauvain eines Abends am Lagerfeuer. Der Wind trug den Rauch ihres Feuers durch die kühle Frühlingsnacht, während die Truppen der Kavallerie sich ringsum ausruhten. „Die kaiserlichen sind wie ein Sturm, und nichts kann sie aufhalten.“
„Es scheint so“, erwiderte Aramis nachdenklich, während er in die Flammen starrte. „Aber ein Sturm trifft irgendwann auf Hindernisse oder ebbt ab.“
„Ja, aber wer oder was sollte sich dem Sturm jetzt noch in den Weg stellen?“ fragte Étienne.
„Das werden wir sicher herausfinden!“ schmunzelte Henri.
Sie fanden es schneller heraus, als sie alle erwartet hatten. Kundschafter brachten die beunruhigende Nachricht aus dem Norden. Große Militärverbände aus Redanien und den anderen Königreichen hatten sich vereint. Die Königreiche des Nordens, erschrocken über die Geschwindigkeit und Effizienz der kaiserlichen Offensive, hatten ihre Streitigkeiten beigelegt und eine Koalition gebildet. Die vereinten Heere marschierten nun gen Süden, entschlossen, dem Kaiserreich einen vernichtenden Schlag zu versetzen und die Vormachtstellung des Südens zu brechen.
„Es wird wohl zur Schlacht kommen“, sagte Aramis, während er die Karte studierte, die vor ihnen ausgebreitet auf einem Tisch lag. „Vielleicht die größte, die wir je erleben werden.“
„Feldmarschall Coehoorn hat uns bereits den Marschbefehl erteilt.“ teilte Henri mit, der soeben an den Tisch getreten war. Er zeigte mit seinem Finger auf einen Punkt in der Nähe des kleinen Dorfes Namens Brenna, etwas nördlich der Stadt Maribor, gelegen.
„Die vereinten Heere der Nordländer sollen hier vorbeikommen und der Feldmarschall möchte sie mit den vereinten kaiserlichen Verbänden dort stellen“, fuhr Henri fort.
„Wenn die Karte hier korrekt ist, erscheint mir das Gelände nicht ganz geeignet für eine derart große Schlacht zu sein. Die Senken hier und hier sind nicht optimal für die Kavallerie…und der Weiher hier an der Stelle verhindert auch schnelle Flankenmanöver… und die Wälder dort und dort könnten den Aufzug der Gegner verschleiern… aber nun gut ….die Heerführung wird sicher Gedanken darüber gemacht haben“, stellte Justine fest.
Aramis nickte zustimmend, während er Justine für einen kurzen Moment anblickte. Seine ehemalige Knappin hatte schon immer ein außergewöhnliches Gespür für strategische Feinheiten besessen.
Am nächsten Tag setzte sich die gewaltige Kriegsmaschinerie in Bewegung. Immer mehr Verbände stießen zu ihnen und das kaiserliche Heer wuchs und wuchs … und alle marschierten in Richtung des kleinen unbedeutenden Dorfes namens Brenna.
Die Schlacht von Brenna
Die Sonne schien über der Ebene in der Nähe des kleinen Dorfes Namens Brenna, als Aramis und seine Begleiter auf einer Anhöhe standen, die einen sehr guten Blick auf das Schlachtfeld vor ihnen gewährte. Es war ein unheimlicher Anblick – zehntausende von Soldaten, die in Reihen und Kolonnen aufgestellt waren, wie ein Meer aus Metall, das sich in der Ferne verlor.
Étienne, der neben Aramis auf seinem Pferd saß wirkte gefasst. Neben ihm stand Jacques, der mit zusammengekniffenen Augen betrachtete, wie sich die kaiserlichen Truppen aufstellten.
„Es ist wirklich beeindruckend“, sagte Jaques leise.
Aramis nickte und schaute ebenfalls hinüber zu den kaiserlichen Linien. Die Armee des Nilfgaards formierte sich in akribischer Präzision. Die schwere Kavallerie, zu der auch die Ritter aus Toussaint mit ihren Männern bei dieser Schlacht zugeteilt waren, sammelte sich in der Mitte.
„Wir werden also das Vergnügen haben, den Tanz zu eröffnen“, stellte Henri fest.
Justine, die auf der anderen Seite von Aramis auf ihrem Streitross saß, schüttelte den Kopf. „Ich weiß, du meinst es ironisch, Henri. Aber schau dir das Schlachtfeld genau an. Wenn wir den Tanz mit der schweren Kavallerie eröffnen, die Nordlinge aber tief gestaffelt stehen besteht die Gefahr dort hinten und hier auf der Seite … bei den Senken … das Momentum zu verlieren! Das wäre Fatal und kein Vergnügen mehr!“
Aramis sah Justine lange an, es war jetzt schon das zweite Mal gewesen, dass sie sich unglücklich über die Entscheidungen der kaiserlichen Offiziere geäußert hatte. Aber sie hatte Recht, Aramis malte sich den bevorstehenden ersten Angriff aus und sah ebenfalls die Gefahr, in Mitten der Feinde stecken zu bleiben, wenn deren Formation bei dem Schockangriff durch die schwere Kavallerie nicht zerbrach.
„Ich gebe dir Recht, Justine“, antwortete Aramis nachdenklich. „Wir müssen unsere Bedenken äußern, sofern die kaiserlichen Offiziere nicht ebenfalls dieses Risiko bemerkt haben! Lass uns zum Feldmarschall reiten!“
Justine nickte und wollte gerade ihrem Pferd die Sporen geben, als in der Ferne plötzlich ein tiefes, dumpfes Dröhnen ertönte, es waren die Kriegstrommeln der Nordländer. Eine Welle der Unruhe ging durch die Reihen der kaiserlichen Truppen, doch die Offiziere hielten ihre Soldaten ruhig. Es war ein Aufmarsch, den es in der Form im Norden noch nie gegeben haben mochte. Aramis schaute auf die Banner, die nun ins Blickfeld drangen, Redanien, Kaedwen, Aedirn und natürlich Temerien – zudem erkannte er schwer gerüstete Zwerge und einige Banner, die er nicht zuordnen konnte – sie standen wirklich dem vereinigten Norden gegenüber.
„Es wird bald beginnen, wir müssen unsere Positionen einnehmen“, sagte Gauvain, seinen Blick urverwandt auf die aufmarschierende feindliche Armee gerichtet. Seine übliche Gelassenheit war einem stillen Ernst gewichen.
„Wir müssen mit den Generälen sprechen“, fügte Justine hinzu.
„Dann los jetzt … Étienne, Jaques … ihr reitet zu den anderen und informiert sie“, rief Aramis und wendete Berek um in Richtung der Heerführung zu galoppieren.
Jacques zog an seinen Zügeln „Jawohl, Herr!“
Aramis, Justine und Gauvain ritten im Galopp durch die gespannte Atmosphäre der aufgestellten Kaiserlichen, den Blick fest auf das Zelt des Feldmarschalls Menno Coehoorn gerichtet. Die Unruhe des bevorstehenden Kampfes lag spürbar in der Luft, und die Trommeln der Nordlinge dröhnten in der Ferne wie ein drohender Sturm.
Als sie ihn erreichten, stand der Feldmarschall bereits in voller Rüstung vor seinem Zelt und studierte mit scharfem Blick den Aufmarsch des Nordens. Aramis sprang von Berek, dicht gefolgt von Justine und Gauvain, und trat sofort vor ihn. „Feldmarschall, wir müssen dringend mit euch über den bevorstehenden Angriff der Kavallerie sprechen.“
Der Feldmarschall studierte die drei Ritter, die an ihn heran getreten waren. „Ihr sprecht von den Senken auf den beiden Seiten in der Mitte, nicht wahr?“ Seine Stimme klang ernst. „Wir kennen das Problem und haben es erörtert. Wenn wir den ersten Schlag führen mit der schweren Kavallerie führen, wird ihre Formation brechen.“
Justine trat einen Schritt vor. „Sie werden sich nicht so leicht brechen lassen, wie ihr denkt. Die Nordlinge reagieren bereits auf unsere Aufstellung, seht selber, sie fangen an, die Formation tiefer zu staffeln … sie ahnen unser Vorgehen! Wir können nicht einfach frontal durchbrechen und erwarten, dass sie sofort in Unordnung geraten. Wenn wir vorrücken, müssen wir verhindern, dass unsere Kavallerie zu tief vordringt und in den Senken stecken bleibt. Wenn wir das Momentum verlieren, sind wir verwundbar.“
„Und wie genau schlagt ihr vor, das zu verhindern?“ Coehoorn blickte Justine nun direkt an, seine Augen verengten sich. „Wir habe keine Zeit mehr für leere Bedenken.“
„Wir sollten die erste Welle der Kavallerie nicht zu weit vorrücken lassen“, entgegnete Justine. „Stattdessen sollten wir sie gestaffelt angreifen lassen. Wenn der Feind bei der ersten Welle nicht sofort bricht, dann bleibt unsere Reiterei noch die Rückzugsmöglichkeit, um eine zweite Angriffswelle zu starten. Die zweite Welle deckt dabei den Rückzug der ersten Welle!“
„In ähnlicher Form waren wir bei der Schlacht von Vernot erfolgreich“, ergänzte Gauvain mit ernster Stimme. „Wir müssen die Kavallerie in Etappen vorgehen lassen. Wenn wir sie alle auf einmal schicken, riskieren wir, dass sie sich in der feindlichen Formation verfangen und zwischen den Senken steckenbleiben. Das Gelände arbeitet gegen uns. Aber wenn wir kontrolliert und schrittweise vorgehen, können wir den Feind zermürben, bevor er die Zeit hat, sich neu zu formieren.“
Coehoorn schnaubte leise, doch sein Blick verriet, dass er nachdachte. „Gestaffelte Angriffe? Ihr wollt die Wucht unseres Schlages aufteilen?“
„Besser und sicherer einsetzen“, korrigierte Aramis. „Die Nordlinge erwarten einen massiven, unkontrollierten Vorstoß. Wenn wir das ändern und taktisch klüger vorgehen, könnten wir ihre Reihen allmählich aufweichen, ohne das Risiko einzugehen, unsere besten Truppen in einem unübersichtlichen Gelände festzusetzen.“
Justine fügte hinzu: „Sobald wir den ersten Vorstoß gestoppt haben, wird unsere schwere Infanterie näher aufrücken können. Sie wird dann die Lücken in der feindlichen Formation ausnutzen, die unsere Kavallerie in Schach gehalten hat. Aber der Schlüssel liegt darin, nicht zu weit vorzudringen, bevor die Front des Feindes bricht. Sonst enden wir in einem Würgegriff.“
Der Feldmarschall hörte ihnen zwar aufmerksam zu, doch seine Haltung verriet, dass er wenig bereit war, von seinem ursprünglichen Plan abzuweichen.
„Gestaffelte Angriffe?“ wiederholte Coehoorn und ließ das Wort in der Luft hängen. „Es mag ein kluger Gedanke sein, aber diese Nordlinge werden nicht lange standhalten, wenn unsere Kavallerie mit voller Wucht auf sie prallt. Ein geteilter Angriff könnte unsere Stärke mindern.“
Aramis schüttelte den Kopf. „Wir könnten uns in einem Sumpf aus Toten und Verwundeten wiederfinden, wenn wir zu weit vorpreschen. Ein gestaffelter Angriff gibt uns die Kontrolle, die wir brauchen, um flexibel zu bleiben.“
Coehoorn runzelte die Stirn und sah erneut auf die Karte. „Ihr denkt, die Nordlinge könnten ihre Formation halten? In diesem Gelände? Mit unseren Elitekräften die auf sie zustürmen?“
„Es wäre töricht, diese Möglichkeit zu unterschätzen“, warf Gauvain ein. „Das Gelände ist tückisch, und ihre Verteidigung tief. Wenn wir den ersten Vorstoß in Wellen durchführen, haben wir die Chance, die Lage besser zu beurteilen und unsere Männer rechtzeitig zurückzuholen.“
Der Feldmarschall musterte die drei noch einmal, als würde er abwägen. „Ich sehe, worauf ihr hinauswollt, aber die Zeit drängt. Wir haben die Moral unserer Männer und den Überraschungseffekt auf unserer Seite. Ich kann es mir nicht leisten, dass wir den Schlag verzögern oder halbherzig führen. Wenn wir zögern, verlieren wir alles.“
Justine biss sich auf die Lippen, bevor sie zögernd nickte. „Verstanden, Feldmarschall. Doch bitte erinnert euch daran, dass es immer einen Plan für den Rückzug braucht. Falls die Front nicht bricht…“
„Falls die Front nicht bricht, wird die schwere Infanterie vorrücken, und ich werde eine zweite Kavallerieeinheit schicken“, unterbrach Coehoorn mit einem Hauch von Ungeduld. „Aber das wird nicht nötig sein. Die Nordlinge können einer solchen Wucht nicht standhalten. Jetzt zurück zu euren Einheiten. Der Schlag erfolgt in wenigen Augenblicken.“
Aramis’ Herz schlug schwer, als er und die anderen sich von Coehoorn abwandten und zurückritten. Er spürte die Anspannung in Justines Gesicht, die leise Unruhe, die Gauvains Augen durchzog. Sie alle wussten, dass es ein gewagtes Manöver war … sie hatten ihre Bedenken geäußert. Doch der Feldmarschall war entschlossen – der Plan würde ausgeführt werden, wie er es vorgesehen hatte.
Die Trommeln wurden lauter, und in der Ferne blähten sich die Banner der Nordländer im Wind. Die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt. Aramis hob den Blick zum Himmel, wo die Wolken sich langsam auflösten, als die ersten Sonnenstrahlen den Tag erhellten. Der Moment der Entscheidung rückte näher.
„Oh Herrin vom See, schütze uns in dieser Stunde der Dunkelheit. Lenke unsere Schwerter mit Weisheit und unsere Herzen mit Mut. Bewahre jene, die an unserer Seite kämpfen, und führe die Seelen der Gefallenen sanft in deinen Frieden. Möge dein Licht uns den Weg weisen, wo Schatten drohen, und möge dein Segen über uns wachen, bis dieser Tag vorüber ist. Für Ehre, für Pflicht und für das Leben, das du uns geschenkt hast. In deinem Namen kämpfen wir“, sagte Aramis schließlich, seine Hand fest um den Griff seines Schwertes.
Mit diesen Worten ritten sie gemeinsam hinab in das Tal, bereit, sich der größten Schlacht ihres Lebens zu stellen.
Die Rüstungen der schweren Kavallerie der Division „Alba“ glitzerten im Licht der Sonne, als sie sich in einer dichten Linie sammelten.
Das Signalhorn ertönte. Der tiefe Klang durchdrang die Luft, und mit einem donnernden Aufschrei setzten sich die Reihen der Alba-Division in Bewegung. Aramis spürte, wie das Herz seines Pferdes unter ihm schlug, als es sich in den galoppierenden Ansturm stürzte. Der Wind zerrte an seiner Rüstung, der Schrei der Kavallerie erhob sich, und ihre Hufe hämmerten auf die Erde. Die Wucht des Ansturms ließ den Boden erbeben.
Neben Aramis sprengte Henri voran, die Lanze bereit, mit verheerender Kraft auf den Feind niederzufahren. Justine und Jacques hielten die Formation, ihre Blicke auf den Moment fokussiert, in dem sie auf die feindlichen Linien treffen würden. Die Schlachtrösser brüllten vor Kraft und begannen, ihre Geschwindigkeit zu maximieren, als sie auf die schimmernden Speere der Temerier zuhielten.
Der Aufprall war gewaltig. Ein Donnern aus Metall, Knochen und Blut erschütterte die Erde, als die Reiter der Alba-Division in die feindliche Linie krachten. Die vorderen Reihen der temerischen Speerträger wurden in einem Sturm aus Hufen und Schwertern zerschmettert. Aramis’ Lanze fand sein erstes Ziel, glitt durch den Widerstand einer Rüstung und spaltete den Brustkorb eines Soldaten, der schreiend zu Boden ging. Um ihn herum taten es seine Kameraden gleich – Lanzen zerschmetterten Schilde, Klingen bohrten sich in Fleisch, und der Boden färbte sich blutrot.
Doch die Temerier waren zäher, als sie gedacht hatten. Die Soldaten in den hinteren Reihen drängten nach vorn, ihre Speere hielten dem Druck der Kavallerie stand, und die Männer der Alba-Division, die tief in die feindlichen Linien eingedrungen waren, spürten bald die Folgen ihres eigenen Erfolgs. Sie waren zu schnell zu weit vorgedrungen und kamen jetzt ins Stocken.
Aramis spürte, wie das Tempo seines Pferdes nachließ. Um ihn herum kämpften die Reiter gegen eine schier unaufhaltsame Welle aus Speeren und Schilden. Die Temerier, statt zu brechen, verstärkten ihre Linie und drängten die schweren Reiter in die Falle, wie es Justine voraus geahnt hatte. Die dichten Reihen der feindlichen Infanterie schlossen sich um sie wie eine eiserne Faust.
„Wir stecken fest!“ rief Étienne, sein Schwert wild schwingend, während er versuchte, die feindlichen Soldaten auf Abstand zu halten. Die dichten Reihen der Temerier drängten sie von allen Seiten, ihre Speere trafen immer wieder auf die schweren Rüstungen der Reiter, schafften es immer wieder die Schwachstellen zwischen den Platten zu finden.
Aramis kämpfte sich weiter vor, doch er wusste, dass sie tief im feindlichen Gebiet festsaßen. Um ihn herum fielen immer mehr seiner Männer. Jacques, der alte Veteran, stieß ein brüllendes Lachen aus, während er einen weiteren Feind mit einem kurzen, tödlichen Hieb niederstreckte, doch selbst er konnte sehen, dass die Lage aussichtslos war.
Die schweren Rüstungen, die sie einst geschützt hatten, wurden zu ihrem Fluch. Sie waren zu unbeweglich, zu langsam, um sich aus dem Kessel der feindlichen Infanterie zu lösen.
„Sie schließen den Kreis um uns … wir müssen hier raus!“ schrie Justine, während sie ihr Pferd herumriss, um den stetigen Strom von Feinden abzuwehren. Ihr Gesicht war von Schweiß und Blut verschmiert, aber ihre Augen glühten vor ungebrochener Kampfeslust.
Aramis sah sich um. Überall um ihn herum kämpften seine Männer ums Überleben, doch die Lage war aussichtslos. Die Division „Alba“, so mächtig sie auch war, wurde in den endlosen Wellen der temerischen Soldaten zerschlagen.
Aramis spürte, wie sein Herz hämmerte, als er die Beine fester an den Leib seines Pferdes presste. Der kalte Schlamm spritzte unter den Hufen seines Reittiers auf, während er sein Schwert fest umklammerte. Vor ihm erhoben sich dichte Reihen feindlicher Speerträger, die wie ein tödlicher Wall aufragten, ihre Gesichter verzerrt vor Anstrengung und Entschlossenheit. Die Zeit schien sich für einen Moment zu dehnen, als Aramis das Schlachtfeld in seiner ganzen Brutalität wahrnahm und der Geruch von Blut und Schweiß ihm in die Nase stieg.
„Mir nach!“ schrie Aramis, seine Stimme war wie ein Donnern, das über das Schlachtgetöse hinweg hallte. Er trieb sein Pferd an, die Muskeln des Tieres spannten sich unter ihm, während es mit einem gewaltigen Sprung nach vorne preschte. Étienne, nur eine Handbreit entfernt, hielt sich dicht an Aramis‘ Seite. Der junge Knappe hatte die Zügel fest in den Händen, sein Helmvisier war schmutzverschmiert, doch seine Augen glänzten vor Entschlossenheit.
Justine stürmte an seiner Seite vorwärts. Ihr Pferd bahnte sich seinen Weg durch den Schlamm, ihre Klinge blitzte auf und mit einem kraftvollen Schlag ließ sie einen Speerträger zu Boden sinken. Blut spritzte auf, als der Mann fiel, und die Lücke in der feindlichen Linie öffnete sich für einen winzigen Moment.
„Vorwärts! Brecht durch!“ brüllte Aramis, während er sein Schwert in einem weiten Bogen schwang. Er spürte den Aufprall, als die Klinge durch einen feindlichen Schild drang, gefolgt vom widerstandslosen Schnitt durch Fleisch und Knochen. Die Temerier stöhnten und taumelten zurück, doch sie waren zu viele – sie formierten sich schnell neu, und jeder gefallene Soldat wurde sofort durch einen anderen ersetzt.
Jaques, der wie ein entfesselt kämpfte, zerschmetterte die Köpfe seiner Feinde mit brutalen Hieben seiner Kriegskeule. Sein Pferd trat und schnaubte, während er sich durch die dichten Reihen hackte. „Raus hier!“ brüllte er, Schweiß und Blut liefen ihm in die Augen, doch er hielt den Blick fest auf Aramis gerichtet.
Es war ein brutaler Tanz aus Stahl und Tod, während sie versuchten, durch die sich bildende kleine Lücke zu drängen. Die Temerier bedrängten sie von allen Seiten, aber Aramis, Justine und die anderen hielten die kleine Lücke, die sich gebildet hatte wie ein Bollwerk aus Stahl. Ihre Pferde stießen in die feindlichen Reihen, Hufe trampelten über Körper, und ihre Waffen fanden immer wieder ihr Ziel.
Plötzlich ergab sich die Gelegenheit – die kleine Schwachstelle in der feindlichen Formation auf die sie sich gestürzt hatten weitete sich dank ihrer geballten Anstrengung. „Jetzt! Ausbruch“, schrie Aramis und gab Berek die Sporen und ohne zu zögern folgten ihm seine Gefährten. Sie stürmten in die Lücke, ihre Hufe donnerten durch den aufgeweichten Boden, und für einen Moment spürte Aramis, wie der Druck um sie herum nachließ. Der Ring der Temerier zerbrach an der Stelle, als sie mit unbändiger Wucht durchbrachen.
Hinter ihnen war der Tumult der Schlacht ohrenbetäubend, doch vor ihnen lag der rettende Raum. Die Verstärkungen der Ard Feainn und der Deithwen-Division hatten die feindlichen Linien von der Flanke angegriffen, und das brachte den Raum, den sie brauchten. Aramis spürte den Wind in seinem Gesicht, als sie in den offenen Bereich stürmten, die feindlichen Speerträger hinter sich lassend.
„Wir haben es geschafft!“ keuchte Étienne. Aramis sah ihn an, ein kurzes, stolzes Nicken, bevor er sich wieder auf das Schlachtgetümmel konzentrierte.
Der Ausbruch war gelungen, aber die Schlacht tobte weiter um sie herum. Aramis wusste, dass dies nur eine kurze Atempause war. „Sammeln! Es ist noch nicht vorbei!“
Die Luft war erfüllt von dem metallischen Klang klirrenden Stahls und dem dumpfen Stöhnen der Verwundeten, als sich die entkommenden Reiter, darunter kaiserliche und Toussainti für einen neuen Angriff formierten. Die schimmernden schwarzen Rüstungen der kaiserlichen Kavallerie glitzerten im fahlen Licht, doch der Glanz hatte durch den anhaltenden Kampf und den dichten, blutgetränkten Staub einen matten Schimmer angenommen. Ihr stolzer Ansturm war zum Stillstand gekommen, und die Soldaten, die noch am Leben waren, hielten zusammen – müde, aber entschlossen.
Aramis blickte zu Étienne, der neben ihm ritt, seine Rüstung schwer gezeichnet von der Schlacht. Auch Henri, Justine, Gauvain und Jacques waren zu seiner Erleichterung der tödlichen Falle entkommen.
Viele schienen angeschlagen, doch keiner war bereit, das Schwert niederzulegen. Henri rieb sich den Nacken, wo das Kettenhemd ihn aufrieb, während Justine einen blutbespritzten abgebrochenen Sperrkopf mit einem Ruck aus ihrem Schild zog.
„Wir können unsere Kameraden nicht im Stich lassen“, schrie Aramis zu den versammelten Reitern, seine Augen auf die Linien der eingekesselten Kameraden gerichtet. Die Reiter der Alba-Division steckten tief im Schlamm des Schlachtfeldes fest, umzingelt von temerischen Soldaten, die sich wie eine dichte Mauer um sie geschlossen hatten.
Aramis schloss kurz die Augen, holte tief Luft: „Wir werden eine Bresche schlagen“, sagte er schließlich. „Egal, wie. Diese Männer verlassen sich auf uns!“
Jacques, nickte grimmig. „Dann reiten wir, bis uns die Beine brechen, oder wir sterben dabei.“ Seine raue Stimme war wie ein Hauch von Stahl in der Luft.
Mit einem knappen Nicken gab Gauvain das Signal. Die verbliebenen Reiter formierten sich um ihn, ihre Speere und Schwerter bereit. Sie waren nur noch ein Bruchteil der einst so mächtigen Truppen, aber das Feuer des Überlebens brannte in ihren Herzen. Aramis zog sein Schwert und hob es hoch in die Luft. „Für die Ehre! Für Toussaint! Vorwärts!“
Mit einem donnernden Aufschrei setzten sie sich in Bewegung, die schweren Hufe ihrer Pferde gruben sich tief in den weichen, von Blut durchtränkten Boden. Die Temerier, die sie bereits erwartet hatten, schlossen schnell ihre Reihen. Speere wurden gesenkt, und Schilde erhoben sich in einer undurchdringlichen Wand aus Holz und Stahl. Doch Aramis und die seinen hielten nicht inne. Sie stürzten sich auf die feindlichen Linien, ihre Schwerter bereit, jede Schwachstelle zu nutzen.
Der Aufprall war brutal. Aramis’ Klinge krachte gegen ein gegnerisches Schild, riss es zur Seite, bevor er den Speerträger mit einem gezielten Stoß niederstreckte. Henri war an seiner Seite, seine Schläge unbarmherzig und tödlich. Étienne, mutiger als je zuvor, kämpfte wie ein geübter Krieger, und Justine schlug sich mit wilder Entschlossenheit durch die Reihen der Feinde.
Doch der Widerstand war stark. Die Temerier hielten ihre Formation und jeder Meter den sie vorstießen forderte seinen Blutzoll. Ein kaiserlicher Reiter der neben Aramis focht, wurde von einem Speer in der Seite erwischt und neben ihm vom Pferd gezogen, Blut spritzte während der Mann von den Feinden erschlagend wurde.
„Weiter!“ brüllte Aramis, sein eigenes Schwert wirbelnd, um einen Angreifer abzuwehren. Schließlich schafften sie es erneut einen kleinen Korridor bis zu den eingekesselten Imperialen zu schaffen.
Henri schwang seine Klinge in einem weiten Bogen und rief: „Wir sind durch!“ Doch als Aramis sich umsah, wusste er, dass es nur die halbe Wahrheit war. Die Bresche, die sie geschlagen hatten, war schmal, zu schmal, um alle ihre eingeschlossenen Soldaten zu befreien. Die Temerier waren bereits dabei ihre Formation zu schließen und drängten von beiden Seiten vor, so dass sich die Bresche bereits wieder zu schließen begann.
„Wir schaffen es nicht, den Bresche zu halten“, schrie Justine über den Kampflärm hinweg, als sie mit ihrem Pferd neben Aramis’ hersprengte. Ihre Augen waren voller Schmerz, als sie über das Chaos hinwegspähte. Die eingekesselten Reiter der Alba kämpften noch immer, aber viele lagen bereits tot oder schwer verwundet am Boden.
Aramis biss die Zähne zusammen. Es war ein grausamer Gedanke, aber er wusste, dass sie nicht alle retten konnten. „Rettet, wen ihr erreichen könnt, aber wir dürfen uns nicht wieder einkesseln lassen, wir haben keine Zeit mehr!“
Mit einem letzten verzweifelten Aufschrei stürmten sie erneut vor, ihre Klingen blitzend im dichten Gedränge. Sie schafften es, einige der Eingekesselten zu befreien, doch der Preis war hoch. Aramis sah, wie Jacques einen Mann auf sein Pferd zog und durch die Bresche den Rückzug antrat.
Sie konnten nicht alle retten. Einige der kaiserlichen Reiter, die so stolz und unbesiegbar schienen, waren verloren – gefangen in den unaufhaltsamen Wellen der temerischen Infanterie. Der Boden war übersät mit Leichen, der Schlamm so tief, dass die Pferde kaum noch Halt fanden.
„Zurückziehen!“ rief Gauvain schließlich, als er sah, dass ihre Kräfte schwanden. „Wir haben getan, was wir konnten.“
Mit schweren Herzen, aber dem Wissen, dass sie zumindest einige Kameraden noch raushauen konnten, kämpften sie sich zurück auf das offene Feld, das Schlachtfeld voller Blut und Tod hinter sich lassend … zumindest für diesen Augenblick.
Aramis spürte das Brennen in seinen Muskeln, das nach der unbarmherzigen Zeit des Kampfes wie Feuer durch seinen Körper zog. Gemeinsam mit seinen Gefährten und den Überlebenden der Alba-Division ritten sie erschöpft Richtung des Feldlazarettes, dass als Sammelpunkt diente. Der Lärm der Schlacht lag noch immer laut in der Luft, als sie das provisorische Lazarett erreichten.
Der Boden war mit improvisierten Zelten bedeckt, in denen sich Ärzte, Sanitäter und sonstige Heiler um die Verletzten kümmerten. Das gedämpfte Stöhnen und die Schreie der Verwundeten mischten sich mit den Anweisungen der Offiziere, die versuchten, Ordnung in das Chaos zu bringen. Einige Männer hielten sich an den Armen oder stützten Kameraden, während sie zu den Ärzten taumelten, ihre Gesichter verdreckt und voller Schmerz.
Aramis glitt müde von Berek, der schwer atmend und schnaubend neben ihm stand. Ein kaiserlicher Stallknecht eilte herbei, um die Pferde in Empfang zu nehmen, während Henri und Jaques sich ebenfalls vorsichtig von ihren Sätteln schwangen.
„Setz dich, Junge“, sagte Jacques und klopfte Henri fest auf die Schulter, bevor er selbst zu Boden sank und seinen schmerzenden Körper streckte. „Wir haben uns eine Pause verdient.“
Aramis nickte und wischte sich das Blut von seinem Gesicht, bevor er nach einem Weinschlauch griff und einen tiefen Schluck nahm. Der Wein war warm und schmeckte nach Erde und Asche, aber er half, den Staub und das Blut aus seinem Mund zu spülen. Er bot Gauvain und Justine den Schlauch an, die sich ebenfalls erschöpft niederließen. Justine nahm den Schlauch, während Gauvain seinen Kopf in den Nacken legte und die Augen schloss.
Während sie für einen Moment durchatmeten, konnten sie den Kampf in der Ferne beobachten. In der Nähe des goldenen Weihers tobte die Schlacht am heftigsten. Selbst von hier aus konnte Aramis sehen, wie die Truppen aus Brugge verzweifelt versuchten, die Stellung zu halten. Nilfgaards schwere Infantrie Division „Ard Feainn“ hatte sich wie ein unaufhaltsamer Hammer durch die Linien der Nordländer geschlagen.
„Sie halten sich gut, aber es wird nicht reichen“, murmelte Aramis, während er die Szene beobachtete.
„Schau“, sagte Étienne und wies auf einen Punkt am Rand des Weihers, wo ein neues Banner in erschien. „Eine neue Einheit der Nordländer greift ein.“
Tatsächlich, am Rand des Schlachtfeldes sahen sie die verstärkten Reihen der Freien Kompanie, die sich mit unerbittlicher Wucht in die Nilfgaarder Linien bohrten und die schwer gerüsteten Divisionen von Ard Feainn zurückdrängten. Doch selbst mit dieser Verstärkung war es ein brutaler, verlustreicher Kampf. Tote und Verwundete bedeckten das Land um den Weiher, und die Schreie der Soldaten hallten durch die Luft.
Aramis beobachtete stumm, wie die Mahakamer Freiwilligen, angeführt von ihren schwer bewaffneten Zwergen, in die Schlacht stürmten. Sie schoben die kaiserlichen Truppen weiter zurück, während die Freie Kompanie die Flanken absicherte. „Sie kämpfen wie Wahnsinnige“, murmelte Justine, die das schreckliche Schauspiel mit verschränkten Armen betrachtete.
Der Blutzoll war hoch … verdammt hoch. Beide Seiten hatten schwere Verluste erlitten, und die Linie schwankte ständig, ohne dass ein Vorteil für eine der Seiten in Sicht war. Doch dann, als da Blatt sich gegen Nilfgaard zu wenden drohte, sendete der Feldmarschall die Vrihedd-Brigade, eine Eliteeinheit der Elfen, in die Schlacht. Ihre geschmeidigen Bewegungen wirkten fast tänzerisch, als sie sich in die feindlichen Linien schnitten und einen Keil zwischen die redanischen und temerischen Truppen trieben.
„Die Vrihedd-Elfen“, murmelte Jacques, der neben Aramis saß und seine Pfeife ansteckte.
Aramis nickte, während er zusah, wie die Elfen eine Bresche schlugen. Es war beeindruckend, aber auch furchteinflößend, wie sie durch die bereits zerschlagenen Reihen der Nordländer pflügten. Trotz der erbitterten Verteidigung von Brugge und der heldenhaften Anstrengungen der Mahakamer Zwerge schien die Schlacht in die Hände Nilfgaards zu gleiten.
„Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sie durchbrechen“, sagte Aramis leise und reichte Justine den Weinschlauch.
Justine nahm einen tiefen Schluck, die Stirn in Falten gelegt. „Und was machen wir solange?“
Aramis schüttelte langsam den Kopf. „Wir warten auf den nächsten Befehl. Für jetzt… sammeln wir unsere Kräfte.“
Die Luft um sie herum war schwer von Blut und Rauch, doch für einen Moment erlaubten sie sich, durchzuatmen. Der Kampf am goldenen Weiher tobte weiter, und der Krieg, der sie alle zu erschöpften Schatten ihrer selbst gemacht hatte, schien kein Ende zu nehmen.
Aramis, noch immer staubbedeckt und mit blutigen Krusten an der Rüstung, lehnte sich gegen einen Holzpfahl, an dem Berek angebunden stand und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das Schlachtfeld. Um ihn herum ruhten die wenigen Überlebenden seines Trupps, schlaff und wortlos. Die Schreie der Verwundeten waren in der Ferne wie das ferne Grollen eines Sturms, der niemals abbrach. Der Kampf um den goldenen Weiher tobte unvermindert weiter, doch plötzlich war eine Veränderung spürbar.
„Schaut dort!“ rief Henri und deutete auf die Erhebungen jenseits des Weihers.
Aramis folgte seinem Finger und sah, wie erneut ein neues Banner sich am Horizont erhob. Eine gewaltige Armee in dichten Formationen marschierte mit disziplinierter Präzision über das Feld. Die schweren Rüstungen glänzten im Tageslicht, und ihre Reihen waren so perfekt aufgestellt, dass sie wie ein endloser Fluss aus Stahl aussahen. Das war kein einfacher Trupp, das war die Königliche Redanische Armee.
„Foltest hat seine Männer geschickt“, murmelte Jacques, während er seine Pfeife zur Seite legte und sich schwer aufrichtete. „Und er hat die Temerier nicht allein gelassen.“
Die Armee unter den Kommandos von Blenckert und Bronibor war wie eine Sturmwelle, die unerbittlich auf die Nilfgaarder traf. Die Vrihedd-Elfen, die sich zuvor wie ein scharfer Dolch durch die Linien geschnitten hatten, begannen nun zurückzuweichen. Die Koordination und Disziplin der Redanischen Armee war beeindruckend. Reihen von Speeren ragten auf, während Bogenschützen aus dem Hintergrund tödliche Salven in die Nilfgaarder Reihen schossen.
„Es wird Zeit“, sagte Aramis leise, während er beobachtete, wie das Blatt sich zu wenden begann.
Henri knirschte mit den Zähnen, während er seine Waffen prüfte.
Justine nickte stumm, ihre Augen fokussiert auf die bereits einsetzenden Rückzugsbewegungen der nilfgaardischen Frontlinie.
Als Blenckerts Kavallerie, flankiert von Bronibors Infanterie, auf die nilfgaardischen Reihen traf, krachte es wie Donner. Das Kriegsgeschrei der redanischen Soldaten hallte über das Tal, und die Kaiserlichen, die sich nur schwerfällig zurückzogen, wurden von der gewaltigen Wucht der anstürmenden Truppen überwältigt. Die vorher geordnete Offensive der Nilfgaarder zerbrach langsam aber sicher unter dem Druck.
„Seht nur, wie die Elfen in die Defensive gedrängt werden“, bemerkte Étienne, der voller Ehrfurcht auf die sich verändernden Schlachtlinien starrte. „Ihre Grazie und Geschwindigkeit reichen nicht gegen eine solche Masse.“
„Die Redanier lassen ihnen keine Zeit, sich zu sammeln“, fügte Aramis hinzu, als er sah, wie die redanische Infanterie unerbittlich auf die Vrihedd-Brigade vorrückte. „Sie werden sie zermalmen, bevor sie sich neu formieren können.“
Das Gleichgewicht der Schlacht kippte nun rasch zugunsten der Nordländer. Die Temerier und die schon fast erschöpften Truppen aus Brugge schöpften neuen Mut, als sie sahen, wie ihre Verbündeten aus Redanien den Nilfgaardern zusetzten.
„Wenn das so weitergeht, war es das“, rief Aramis, während er sich seinen Helm schnappte. „Wir müssen uns wieder bereit machen. Noch sind wir nicht geschlagen.“
„Die werden nicht aufgeben, solange noch einer von ihnen steht“, sagte Justine, als sie mit scharfen Augen die Elfen beobachtete. „Sie kämpfen bis zum Tod. Sie werden versuchen, so viele mit sich zu reißen, wie sie können.“
Jacques spuckte aus und schüttelte den Kopf. „Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen. Blut für Blut.“
Der Himmel über dem Schlachtfeld war mittlerweile grau und schwer, als der Abend dämmerte. Rauchfahnen zogen durch die Lüfte, und der Klang von Waffen, Schreien und Hufen hallte über das endlose Gelände. Feldmarschall Menno Coehoorn, mit seinem schwarzen Mantel und dem kühlen Ausdruck eines Mannes, der jeden Zug auf dem Brett bedacht setzte, stand inmitten seiner Generäle und Offiziere.
Aramis, hatte sich zusammen mit Gauvain und Justine genähert um zu hören, was der nächste Schritt des Feldmarschalls sein würde. Coehoorn ließ seine kalten Augen über das Schlachtfeld schweifen, während seine Finger leise über die Karte auf dem Tisch fuhren, die über das Holz seines Feldschreibtisches gespannt war.
„Die Elfenbrigade hält sich noch, aber sie wird bald zerbrechen, wenn wir ihnen keine Unterstützung zukommen lassen“, sprach Coehoorn mit der Ruhe eines Mannes, der an den Wahnsinn des Krieges gewöhnt war. „Ich werde die VII. Daerlanische Brigade und die Brigade ‚Nauzicaa‘ ins Feld schicken, um sie zu verstärken.“
„Chevalier du Lac“, rief Coehoorn, und in seiner Stimme lag keine Frage. „Ihr und eure Männer reitet mit der Nauzicaa. Keine Gnade, kein Rückzug. Brecht die linke Flanke!“
Aramis nickte knapp und trat zurück, um Justine und Gauvain die verbliebenen Ritter und Soldaten zusammenzutrommeln. Étienne stand an seiner Seite und hielt bereits die Zügel seines Pferdes fest in der Hand. „Bereit, Herr?“ fragte er leise, in seinen Augen lag kein Anzeichen von Angst mehr, nur noch Entschlossenheit.
„Immer bereit“, antwortete Aramis knapp und schwang sich in den Sattel.
Neben ihm taten es ihm die anderen gleich. Jacques rieb sich kurz über die Stirn, bevor er grimmig seinen Helm aufsetzte. „Noch einmal in die Hölle, was?“, knurrte er, doch das Funkeln in seinen Augen zeigte, dass er nichts anderes erwartete hatte.
Justine und Henri, beide blutverschmiert und erschöpft, aber dennoch kampfbereit, saßen ebenfalls auf. Die Truppen formierten sich schnell, wie es die disziplinierten Verbände Nilfgaards gewohnt waren. Die Nauzicaa, eine der gefürchtetsten Kavalleriebrigaden, war bereit, mit aller Macht zuzuschlagen.
„Auf mein Zeichen!“, rief der Offizier der Nauzicaa-Brigade, und die Hufschläge der Pferde setzten sich gleichzeitig in Bewegung. Die Erde bebte erneut unter ihnen, als sie sich in einer letzten gewaltigen Welle auf die feindlichen Linien zubewegten.
Der Rauch, der über das Schlachtfeld waberte, verengte Aramis’ Sichtfeld, doch er konnte den Rest der Elfenbrigade erkennen, die sich tapfer gegen die redanische Infanterie stemmten.
„Für die Ehre! Für Toussaint!“ brüllte Aramis, als er die Zügel seines Pferdes anzog und die Lanze senkte.
Die Nauzicaa stieß in dichten Formationen vor, mit Aramis und seinen verbliebenen Reitern an ihrer Seite. Es war ein gewaltiges Bild – eine Wand aus Stahl, die mit mörderischem Tempo auf die feindlichen Linien zuschoss. Der Boden unter ihnen war schlammig und voller Blut, doch die Kavallerie bahnte sich unbarmherzig ihren Weg durch das Chaos.
Die ersten Reihen der Redanier geriet in Panik und wichen zurück, als die schiere Masse und der Ansturm der Nilfgaarder Kavallerie sie überrannten. Lanzen stachen in Brustpanzer und Schildwälle, und die ersten Soldaten fielen, bevor sie überhaupt die Chance hatten, ihre Waffen zu erheben.
Die Ritter aus Toussaint fielen wie Raubvögel über die Redanier her. Er selbst durchtrennte den Hals eines feindlichen Infanteristen mit einem gezielten Hieb seines Schwertes, während Étienne an seiner Seite einen Gegner von seinem Pferd riss. Henri und Justine kämpften sich an seiner rechten Seite durch die feindlichen Reihen.
Doch trotz ihres unerbitterlichen Kampfgeistes, war es zu spät …die Übermacht des Nordens war inzwischen erdrückend. Die Temerier und Redanier hielten ihre Linien, während immer neue Einheiten von den Flanken herbeiströmten. „Die Herrin vom See steh uns bei“, seufzte Aramis als wieder eine neue Einheit der Gegner auf dem Schlachtfeld erblickte. „Wo kommen die auf einmal alle her?“
Es gelang ihnen zwar für den Moment den Druck von den Elfen zu nehmen, aber mit dem Erscheinen der neuen Einheiten, war die Schlacht so gut wie verloren!
„Das ist Wahnsinn!“, brüllte Henri zu Aramis, während er sich gegen mehrere Gegner gleichzeitig verteidigte.
„Weiter! Haltet die Formation! Lass euch nicht einkesseln!“, rief Aramis, er spürte, wie die Kräfte seiner Männer nachließen.
Schweiß lief Aramis über das Gesicht, während er erneut mit einem redanischen Soldaten aneinandergeriet. Er parierte einen heftigen Schlag, bevor er mit einem präzisen Schnitt seinen Gegner niederstreckte. Die Luft um ihn herum war von Staub und Blut getränkt, und der Klang von Stahl auf Stahl hallte in seinen Ohren.
Die Schlacht um den goldenen Weiher war kein Gefecht mehr – sie war zu einem Schlachthaus geworden. Blut, Dreck und Tod verschmolzen zu einem einzigen, allumfassenden Albtraum. Der Boden war nicht mehr als eine klebrige, sumpfige Masse, die nach Tod und Verzweiflung stank. Überall lagen Leichen, zerfetzte Körperteile, und das kreischende Wimmern der Verwundeten mischte sich mit den brutalen, unablässigen Schlägen der Waffen. Der Himmel schien näher gerückt, als wollte er die Sterbenden und Kämpfenden ersticken.
Aramis kämpfte wie im Rausch, seine Lungen brannten, sein Herz hämmerte unerbittlich gegen seine Rippen. Jeder Schlag seines Schwertes kostete ihn mehr Kraft, mehr Leben. Er hatte aufgehört, die Gesichter der Männer zu sehen, die er tötete – sie waren zu Schatten geworden, die ihn verfolgten, nur um im nächsten Moment zu sterben. Immer wieder blitzte Stahl vor seinen Augen auf, immer wieder spürte er den dumpfen Schlag, wenn eine Klinge auf Fleisch traf.
Sein Pferd wieherte verzweifelt, trat und schlug um sich, während sie weiter gegen die wogende Masse der Nordlinge drängten. Justine war dicht an seiner Seite, ihre Bewegungen flüssig, doch die Verzweiflung war auch in ihren Augen sichtbar. „Wir können hier nicht bestehen!“ rief sie, während sie mit einem schnellen Hieb einen Gegner niederstreckte.
Aramis hörte sie kaum noch, der Lärm der Schlacht war überwältigend. Jedes Mal, wenn er sich nach links oder rechts drehte, sah er, wie die Leben seiner Männer in kurzen, blutigen Augenblicken ausgelöscht wurden.
Und dann – der Schmerz!
Er fühlte ihn nicht sofort. Ein dumpfer Aufprall auf der linken Seite, etwas, das mehr wie ein Hieb gegen seine Rüstung wirkte, aber dann kam der Schmerz. Brennend, stechend, durchdringend. Eine Lanze hatte ihn unterhalb der Rippen getroffen, hatte die Schwachstelle zwischen den Platten seiner Rüstung gefunden und das Kettenhemd darunter zerrissen! Aramis keuchte, der Schmerz explodierte in seinem Brustkorb. Sein Schwertarm zitterte, doch irgendwie hielt er sich im Sattel, seine Finger krallten sich in die Zügel. Blut lief ihm heiß die Seite hinunter, über seinen Oberschenkel, tropfte in den Schlamm.
Die Welt begann, sich zu drehen. Die Geräusche wurden dumpfer, als ob er unter Wasser wäre, doch sein Blick blieb fest auf das Schlachtgetümmel gerichtet. Die Reiter …. seine Männer … die Kaiserlichen – sie alle kämpften verzweifelt weiter. Doch überall um ihn herum sah er die Zeichen der Niederlage. Pferde fielen, Menschen schrien, der Tod war allgegenwärtig.
Étienne war noch bei ihm, sein Gesicht eine Maske aus Blut und Dreck. „Herr, ihr seid verwundet!“ schrie er, doch Aramis hörte ihn kaum. Der Schmerz war zu einem pulsierenden, alles verschlingenden Ding geworden, das ihm den Atem raubte.
„Weiterkämpfen“, murmelte Aramis durch zusammengebissene Zähne, mehr zu sich selbst als zu seinem Knappen. „Wir dürfen nicht… aufgeben.“
Aber die Lage war hoffnungslos. Die Nordländer waren überall, sie drängten die Kaiserlichen zurück, zogen immer mehr Verstärkung heran. Die Elfenbrigade, die sie unterstützen sollten, war zerschlagen, kaum noch zu sehen zwischen den endlosen Wellen der feindlichen Infanterie. Aramis‘ Blick verschwamm … er sah, wie Justine und Henri weiter vorne kämpften – Justine schlug wild um sich, ihre Schwertstöße verzweifelt, doch präzise. Henri kämpfte wie ein Berserker, blutüberströmt, mit verzerrtem Gesicht.
Jacques kämpfte verbissen, umzingelt von einer feindlichen Einheit. Er wehrte jeden Schlag ab, seine Bewegungen waren gezielt und kraftvoll, doch der Kampf war unerbittlich. Plötzlich schoss aus der Menge ein kaiserlicher Offizier vor, Frederic Bertrand d’Aubertin III, der inmitten des Chaos offenbar nicht erkannt hatte, dass Jacques auf seiner Seite stand. Mit einem schnellen, unerwarteten Hieb seines Säbels traf er Jacques am Kopf, direkt an seinem linken Auge. Blut spritzte, und Jacques schrie auf, bevor er schwer getroffen von seinem Pferd geschleudert wurde.
Aramis sah die Szene in einem entsetzlichen Moment der Klarheit. „Jacques!“ Er wollte schreien, doch seine Stimme blieb ihm im Halse stecken, erstickt vom Schrecken. Die Welt um ihn herum verschwamm, der dumpfe Schlag der Klingen, das Grollen der Schlacht – alles wich dem scharfen, unbarmherzigen Bild seines Freundes, der blutend am Boden lag.
Es war Hauptmann Henri, der in letzter Sekunde durch das Chaos zu Jacques vordrang. Ohne zu zögern, beugte er sich von seinem Pferd herunter und packte seinen verwundeten Kameraden, zog ihn mit einem schnellen, geübten Griff auf das Pferd. „Halt dich fest!“ rief Henri, während er seine Klinge schwang, um den Weg frei zu halten. Während der kaiserliche Offizier von einer Gruppe Redaniern überwältigt wurde, bahnten sich Henri und Jacques hastig ihren Weg zu Justine und Gauvain um zumindest die vermeindliche Sicherheit in den eigenen Reihen zu finden, bevor das nächste Missverständnis ihr Ende bedeuten könnte.
Und dann – der letzte Angriff.
Eine Welle redanischer Soldaten stürmte auf sie zu, Spieße und Klingen erhoben. Aramis hob sein Schwert, doch es fühlte sich an, als ob sein Arm aus Blei wäre. Étienne kämpfte an seiner Seite, schlug verzweifelt auf die Feinde ein, aber es waren zu viele…zu viele. Die Redanier rissen an den Zügeln von Bereks, versuchten, Aramis aus dem Sattel zu ziehen, doch irgendwie hielt er sich fest. Er konnte die Schreie seiner Männer hören, die Schritte der angreifenden Soldaten spüren, die drohende Klinge sehen, die ihm den letzten Schlag versetzen sollte.
In diesem Moment war der Tod eine Gewissheit … dennoch lebte … er noch.
Der Tod schien ihm so nahe wie nie zuvor. Er konnte den kalten Atem des Unheils spüren, das drohende Ende in jeder Faser seines Körpers. Doch trotz aller Aussichtslosigkeit hielt er sich fest, klammerte sich an seinen Schwertgriff, als wäre er das Einzige, was ihn von der Dunkelheit trennen könnte. Sein Herz hämmerte wild in seiner Brust, und der Schmerz, der von seinen Wunden ausging, war ein kontinuierliches, beißendes Gefühl, das seine Gedanken trübte.
Mit einer letzten verzweifelten Capriole schaffte er es, Berek aus dem Griff der Redanier zu befreien. Das Tier schnaubte und stampfte mit den Hufen, als es sich endlich aus dem Griff der Feinde löste. Aramis kämpfte, um seinen Platz im Sattel zu bewahren, die Zügel fest in der Hand, während er seine Umgebung mit schmerzverzerrtem Blick wahrnahm. Die Redanier waren ihm immer noch dicht auf den Fersen.
Gauvain kam ihm zur Hilfe, sein Schwert ein Flammenstrahl in der Dunkelheit, der die angreifenden Soldaten zurückdrängte. Die Wucht seines Schlags und der mutige Widerstand der verbleibenden Männer halfen dabei, eine Lücke in den feindlichen Reihen zu schaffen. „Rückzug!“ schrie Gauvain, und die Worte waren wie ein rettender Lichtstrahl in der Dunkelheit. Zusammen mit Étienne kämpfte Gauvain sich durch die Feinde, während Aramis sein Pferd mit letzter Kraft durch die feindlichen Linien lenkte.
Die verbliebenen kaiserlichen Reiter, die sich in dem Chaos, dass auf dem Schlachtfeld herrschte, den Ritter von Toussaint anschlossen hatten, halfen ihnen sich von den Redaniern zu lösen und so sich den Rückzug vom Schlachtfeld zu schaffen.
Als sie sich schließlich mit einigen der kaiserlichen Verbündeten absetzten, war der Kampf hinter ihnen nur noch ein düsteres Echo. Aramis konnte die Erleichterung in den Gesichtern seiner Gefährten sehen. Die Überlebenden, ihre Rüstungen zerschlagen und ihre Körper erschöpft, wurden von der Realität der verlorenen Schlacht eingeholt.
Sie zogen sich nach Süden zurück, eine kleine Gruppe von Überlebenden, die durch den Sturm der Schlacht gepeitscht worden waren. Aramis hielt sich mit letzter Kraft im Sattel. Er hatte überlebt … irgendwie.
Aramis und seine Männer galoppierten mit aller Kraft gen Süden, ihre Pferde schnaubten unter der Anstrengung, doch sie trieben die Tiere erbarmungslos weiter. Der Lärm der Schlacht war längst hinter ihnen verklungen, doch das Dröhnen des Verlustes hallte in ihren Herzen nach. Der Weg war uneben, die Landschaft wirkte verschwommen, als sie in wilder Hast über Hügel und durch Senken jagten, ohne zurückzublicken.
Unterwegs entdeckten sie verstreute kaiserliche Infanteristen, die abseits des Weges verzweifelt vorwärts stolperten. Ohne zu zögern, streckte Aramis seine Hand nach einem jungen Soldaten aus, dessen Gesicht vor Erschöpfung und Angst gezeichnet war. Der Mann zögerte nicht, griff nach Aramis‘ Arm und zog sich mit letzter Kraft hoch aufs Pferd. Auch die anderen Ritter handelten ebenso, zogen Soldaten zu sich hinauf, während die Schreie der Zurückgebliebenen wie ferne Echos an ihnen vorbeizogen. Die Pferde ächzten unter der doppelten Last, doch sie mussten weiter, immer weiter.
Es war eine Flucht, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte. Jede Sekunde zählte, jede Bewegung musste exakt sein. Die Landschaft verwandelte sich zu einem trügerischen, immer gleichen Band aus Feldern und Wäldern, das sich vor ihnen ausrollte. Jeder Blick zurück ließ das Gewicht der Verfolgung spüren, doch sie konnten nicht nachgeben.
Rückzug
Dann, nach Stunden des endlosen Reitens, erblickten sie endlich den fliehenden Tross. Vor ihnen erstreckte sich eine unübersichtliche, verzweifelte Ansammlung von Wagen und fliehenden Menschen, die so chaotisch und erschöpft wie ihre Pferde wirkten. Staub und Schweiß bedeckten die Gesichter derjenigen, die sie aus Toussaint kannten – Männer und Frauen, die ihre Heimat verlassen hatten, um dem Ruf zu folgen. Ihre Augen waren weit, ihre Körper zitterten vor Angst und Erschöpfung, doch der Anblick vertrauter Gesichter bot einen Hauch von Erleichterung.
„Da sind sie,“ keuchte Gauvain, der den Tross als erster erspäht hatte. Aramis ließ die Zügel locker, und sein Pferd verlangsamte sich, während er tief einatmete. Die Flucht war noch nicht vorüber, doch zumindest hatten sie es geschafft, den Tross einzuholen – den Rest ihrer Leute, die sie nicht zurücklassen konnten.
Justine ritt neben Aramis, ihre Augen durchdrangen den staubigen Horizont. „Wir sind hier noch nicht sicher!“
Aramis, blutüberströmt und erschöpft, ließ sich von Berek gleiten und wurde sofort von den verbliebenen Sanitätern und Helfern umringt. Seine Glieder fühlten sich taub an, und der Schwindel drohte ihn zu überwältigen. Er ließ sich auf einen provisorisch errichteten Stuhl sinken, der von einem der Wagen herabgelassen wurde. Schnell wurde ihm die Brustplatte abgenommen und die Sanitäter arbeiteten hastig, reinigten und verbanden seine Wunden mit dem, was sie hatten. Jeder Handschlag schmerzte, aber Aramis biss die Zähne zusammen und versuchte, nicht zu zucken. Die Berührung der Verbände war kühl und rau, doch die Aufmerksamkeit der Helfer war ein schwacher Trost inmitten des Chaos.
Neben ihm wurde Jaques ebenfalls versorgt. Der alte Veteran, der die Schlacht nur knapp überlebt hatte, wurde auf eine Trage gelegt. Henri half, ihn vorsichtig in eine Position zu bringen, die seinen Verletzungen Rechnung trug. Jaques war noch immer bei klarem Verstand, lächelte schwach und flüsterte müde Worte des Trostes zu Henri. Sein blutüberströmtes Auge, das unzähligen Schlachten gesehen hatten, schien trüb und verloren.
Gauvain, Justine und die wenigen verbliebenen Ritter aus Toussaint hatten sich um den Tross versammelt, ihre Gesichter waren von Erschöpfung, Staub und Schmerz gezeichnet, doch in ihren Augen flackerte eine unerschütterliche Entschlossenheit. Die Schlacht hatte sie hart getroffen, ihre Reihen drastisch ausgedünnt. Jeder Schritt war eine Qual, jeder Atemzug schmerzte, doch der Wille zum Überleben war ungebrochen. Trotz der Wunden, die ihre Körper und Seelen zeichneten, standen sie aufrecht, so gut sie es konnten.
Die wenigen Ritter, die noch an ihrer Seite waren, wirkten ausgezehrt, manche schwer verwundet, andere taumelten vor Erschöpfung und Schock. Gauvain, stets ein ruhender Pol inmitten des Chaos, half einem jungen Ritter, dessen Schulter von einem Streifhieb getroffen worden war, auf die Beine. Justine, ihr Gesicht ernst, überprüfte die Verletzungen eines weiteren Mannes, ihre Hände routiniert, doch mit einer Sanftheit, die sie in diesen Zeiten selten zeigte.
Die verbliebenen Männer aus Toussaint, Bauern und Bürger, die ihrer Heimat gefolgt waren, saßen erschöpft auf dem Boden, lehnten sich an Wagenräder oder hielten die Zügel ihrer Pferde fest. Die wenigen Heiler, die noch beim Tross waren, arbeiteten fieberhaft, untersuchten Wunden und versorgten sie so gut es ging mit den spärlichen Mitteln, die ihnen blieben. Jeder Verband, jedes Tuch wurde kostbar, und die Zeit schien gegen sie zu arbeiten.
Gauvain, der trotz seiner eigenen Wunden und der offensichtlichen Erschöpfung die Last der Verantwortung trug, hielt die Zügel der Situation fest in den Händen. Er sprach mit den Männern, koordinierte die Bemühungen, um den Tross wieder zu strukturieren. Seine Stimme war ruhig, aber bestimmt, als er Befehle gab, Wagen reparieren ließ und dafür sorgte, dass die verletzten Ritter und Soldaten bestmöglich versorgt wurden. Auch wenn er kaum auf den Beinen stehen konnte, wirkte er wie der Fels inmitten der Verzweiflung, und die Männer spürten seine Autorität, die ihnen neue Kraft verlieh.
Während der Tross sich langsam reorganisierte, breitete sich eine Stille aus, die nicht den Frieden, sondern die Anspannung vor dem nächsten Sturm verriet. Der Rauch der Schlacht hing noch in der Luft, und die Schrecken des Tages lasteten schwer auf allen, doch die unmittelbare Gefahr war noch lange nicht vorbei. Die Nordländer könnten jeden Moment nachsetzen, und allen war klar, dass sie in keiner Verfassung waren, um einem weiteren Angriff standzuhalten. Der Weg nach Mayena, der noch vor ihnen lag, war voller Unwägbarkeiten und die Dunkelheit der kommenden Nacht würde ihnen keine Sicherheit bieten.
Diese Momente der Ruhe, so kurz und trügerisch sie auch sein mochten, waren nur eine Atempause in einem Krieg, der ihre Kräfte weiter aufzehren würde. Justine und Gauvain wussten es ebenso gut wie die anderen: Die wahre Rettung lag noch in weiter Ferne, und was vor ihnen lag, war mindestens genauso unberechenbar wie die Schlacht, die sie hinter sich gelassen hatten. Doch keiner sprach ein Wort darüber. Sie lebten jetzt von Augenblick zu Augenblick, jeder Schritt, den sie weiterkamen, war ein kleiner Sieg in einem endlosen Kampf ums Überleben.
Als Aramis seinen letzten Schluck Wein nahm und den Staub aus dem Mund spülte, blickte er auf die Gruppe der Überlebenden, die sich mühsam wieder in Bewegung setzte.
Als der Tross endlich die schützenden Mauern von Mayena erreichte, wirkte die kleine Stadt wie eine trügerische Oase der Ruhe im Vergleich zum tosenden Chaos der Schlacht, die hinter ihnen lag. Für Aramis und die wenigen Überlebenden aus Toussaint war es mehr als nur das Ende eines beschwerlichen Marsches – es war das Ende eines Alptraums, der sie Tag und Nacht gejagt hatte. Die Schlacht bei Brenna war kaum vergangen, doch ihre Nachwirkungen klebten noch an ihnen wie der Schmutz und das getrocknete Blut, das ihre Rüstungen und Gesichter bedeckte.
Die Reise nach Mayena war eine Qual gewesen. Jeder Schritt, den Aramis‘ Pferd gemacht hatte, schickte Wellen brennenden Schmerzes durch seinen verletzten Körper. Die groben Verbände an seiner Seite waren längst durchtränkt, das Blut sickerte unaufhaltsam, als ob selbst sein eigener Körper die Anstrengung nicht länger mitmachen wollte. Doch er konnte sich keine Schwäche leisten. Die Verfolger der Nordländer schwebten wie ein unsichtbarer Schatten über ihnen, und jedes Geräusch in der Ferne ließ ihre Nerven vibrieren.
Tagelang waren sie auf der Flucht gewesen, rastlos, gejagt wie Tiere. Die ständige Angst, dass die feindliche Kavallerie jede Sekunde über sie hereinbrechen könnte, ließ kaum Raum für Erholung. Nachts wagten sie nur das Nötigste an Schlaf, stets auf der Hut, immer in Bewegung, um den Verfolgern zu entgehen. Kein großes Lagerfeuer, nur flüchtige Mahlzeiten, hastig verschlungen im Sattel, während ihre Pferde kaum Zeit fanden, sich auszuruhen. Die Erschöpfung stand jedem ins Gesicht geschrieben, doch keiner wagte es, aufzuhören. Es war der blanke Wille, der sie weitertrieb.
Immer wieder tauchten Patrouillen der Nordländer auf – wie Geister, die nur kurz am Horizont erschienen, aber ihre Präsenz genügen ließ, um die erschöpften Soldaten in Panik zu versetzen. Sie wechselten stetig ihre Route, nahmen abgelegene Pfade durch Wälder und Hügel, wo sie den Verfolgern entgehen konnten. Die Männer sprachen wenig, ihre Gespräche waren nur Flüstern, von Angst getrieben. Jeder Tag fühlte sich an, als würde er die letzte Kraft aus ihren müden Körpern saugen, und der Weg schien sich endlos in die Weite zu ziehen.
Aramis, Justine, Gauvain und die anderen Überlebenden aus Toussaint trugen die Verantwortung, die verzweifelten Soldaten zusammenzuhalten. Ihre Worte, so knapp sie auch waren, gaben den Männern Trost und Hoffnung, auch wenn sie selbst an den Rändern ihrer Kräfte standen. Justine ritt oft schweigend, ihre Augen suchten unermüdlich die Landschaft nach möglichen Gefahren ab. Gauvain, der trotz seiner eigenen Wunden die Disziplin bewahrte, lenkte den Tross mit der ihm eigenen Entschlossenheit und half, wo er konnte, um die Reihen zusammenzuhalten.
Als sie schließlich die Mauern von Mayena erblickten, war es, als würde ein kollektives Aufatmen durch die erschöpften Reihen der Überlebenden gehen. Es war noch kein Triumph, doch für einen kurzen Augenblick glaubten sie, in Sicherheit zu sein. Die hohen, dicken Mauern der Stadt boten ihnen Schutz vor den Verfolgern, die sie gnadenlos durch das vom Krieg zerrüttete Land gejagt hatten. Ihre Flucht, die ihnen wie eine Ewigkeit vorgekommen war, hatte sie zermürbt, aber auch zusammengeschweißt. Nun, hinter den Mauern von Mayena, konnten sie zumindest für diesen Moment innehalten, bevor die nächste Herausforderung auf sie wartete.
Die verwundeten Soldaten wurden von Ärzten und Helfern umringt, die Pferde zu den Ställen geführt, während die Rüstungen und Waffen der Krieger abgelegt wurden. Aramis blieb einen Moment lang auf seinem Pferd sitzen, die Zügel in der Hand, bevor Henri und Gauvain ihm halfen, vom Sattel zu gleiten. Kaum dass seine Füße den Boden berührten, fühlte er, wie die Welt um ihn herum zu schwanken begann, als ob der Boden unter seinen Stiefeln nachgab. Doch er zwang sich, aufrecht zu bleiben, und lehnte sich schwer auf Henri, der ihn stützte.
„Wir müssen dich untersuchen lassen,“ sagte Henri besorgt, als sie Aramis zu einem nahen Gebäude führten, wo die Ärzte schon auf ihn wartete. „Du siehst übel aus!“
Aramis nickte stumm, während die Ärzte ihn mit geübten Handgriffen untersuchten, die Wunde reinigten und frisch vernähten und die Verbände wechselte. Der Schmerz war stechend, doch er ließ es ohne ein Wort über sich ergehen … bis er schließlich das Bewusstsein verlor.
In den Tagen nach ihrer Ankunft in Mayena fiel es Aramis und seinen Gefährten schwer, wirklich zur Ruhe zu kommen. Die Erschöpfung hatte sich tief in ihre Knochen gefressen, doch selbst als ihre Körper endlich in weichen Betten ruhten, ließen die Schrecken der vergangenen Wochen sie nicht los. Alpträume von der Schlacht bei Brenna und der endlosen Flucht verfolgten sie.
Die Stadt selbst war erst vor kurzem durch die kaiserlichen erobert worden, doch aus dem Ort des Triumphs, der einst vom Jubel der siegreichen Soldaten erfüllt war, wirkte nun wie ein Zufluchtsort für die Leidenden und Gescheiterten. Verletzte und verzweifelte Soldaten strömten durch die Tore, jeder mit einer eigenen Geschichte des Verlusts und der Flucht.
Die Tage in Mayena waren geprägt von einem seltsamen Gefühl des Stillstands. Während sich ihre Körper langsam erholten, gab es keine Flucht vor den beunruhigenden Nachrichten, die unaufhaltsam in die Stadt strömten. Jeden Morgen trafen neue Überlebende aus Brenna und den umliegenden Schlachtfeldern ein. Viele von ihnen waren schwer verwundet, andere trugen keine sichtbaren Narben, aber die Leere in ihren Augen sprach Bände. Aramis, Justine, Gauvain und die Anderen aus Toussaint verbrachten viel Zeit damit, durch die überfüllten Straßen zu gehen, auf der Suche nach weiteren Kameraden oder bekannten Gesichtern. Es war, als würde die Realität des Krieges immer wieder wie eine Welle über sie hereinbrechen, wann immer ein neuer Wagen mit Verwundeten die Stadt erreichte.
Die Gerüchte über den Verlauf des Krieges breiteten sich schneller aus als die Menschen, die sie brachten. Es hieß, dass Menno Coehoorn, der Feldmarschall, bei der Flucht von Brenna gefallen sei. Ein Mann, der so viele Schlachten für den Kaiser erfolgreich geführt hatte, war nun selbst im Wirbel des Krieges untergegangen. Mit seinem Tod schien das Rückgrat der kaiserlichen Armee endgültig gebrochen. Es wurde berichtet, dass die Fronten überall zerbrochen waren. Die einst so stolzen Truppen Nilfgaards, die sich wie eine eiserne Faust über das Land gelegt hatten, waren nun auf dem Rückzug. Die Kaiserlichen flohen in Richtung Yaruga, verfolgt von den vereinten Armeen des Nordens, deren Zorn und Entschlossenheit entfesselt worden war.
Mayena war ein Mikrokosmos dieses Chaos. Die Straßen waren überfüllt mit Flüchtlingen, erschöpften Soldaten und den Überlebenden des Trosses, die versuchten, einen Sinn in der neuen Realität zu finden. Die Stadt war für den Strom von Menschen nicht gewappnet, und die Vorräte wurden knapp.
Die Tage zogen sich zäh dahin, und mit jedem neuen Bericht über das Desaster an der Front wurde die Hoffnung, die sie in diese Stadt getragen hatte, ein wenig mehr zerrieben. Für Justine und Gauvain war es besonders schwer, die Ohnmacht zu ertragen. Sie wollten handeln, kämpfen, sich nützlich machen. Doch es gab keine Schlachten mehr, die man gewinnen konnte.
In den Nächten saßen die Überlebenden aus Toussaint oft beisammen, erzählten sich Geschichten von denen, die sie verloren hatten, und spekulierten über die Zukunft. Justine, deren Entschlossenheit in den Schlachten unerschütterlich gewesen war, sprach immer häufiger von den Wunden, die der Krieg in ihren Seelen hinterlassen hatte. Gauvain, der schweigsamer geworden war, hielt oft nur mit einem langen Blick inne, wenn sie über die Schrecken des Krieges sprachen, als könnte er keine Worte mehr finden, die dem, was sie erlebt hatten, gerecht wurden.
Der Befehl zum Weitermarsch kam schneller als erwartet, ein knisterndes Flüstern unter den Überlebenden, das sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Bald darauf setzten sie sich in Bewegung, die letzten Reste der kaiserlichen Armee, getrieben von der unaufhörlichen Angst, von den siegreichen Nordländern eingeholt zu werden. Jeder Schritt auf dem staubigen Weg brachte sie weiter weg von Brenna, dem Ort, an dem sie alles verloren hatten – Freunde, Brüder, und die Illusion eines unbesiegbaren Imperiums. Doch auch die ungewisse Zukunft, die vor ihnen lag, schien nicht viel freundlicher, ein endloser Nebel aus Sorgen und Ängsten.
Der Wind trug die Nachrichten des Untergangs zu ihnen, Gerüchte und düstere Wahrheiten über den Zusammenbruch der Nilfgaarder Truppen an allen Fronten. Die linke Flanke war geschlagen, die zentrale Heeresgruppe in einem chaotischen Durcheinander zerschlagen – nur die Ostfront, eine letzte Bastion der Hoffnung, hielt sich tapfer, doch selbst die Offiziere wagten es nicht, an ihren Bestand zu glauben. Jeder Schritt fühlte sich an wie ein Rückzug in die Niederlage, der schleichende Verlust an Glauben war überall zu spüren.
Die Flucht über die Yaruga war das nächste Ziel, der mächtige Fluss, der wie ein breiter, glitzernder Schnitt durch die Landschaft floss. Er stellte die natürliche Grenze dar, die sie noch von der vollständigen Zerschlagung trennte, ein letzter Anker, der ihnen etwas Sicherheit bieten sollte. Als sie schließlich das Ufer erreichten, lag der Fluss vor ihnen, dessen Wasser in der Abendsonne schimmerte und so unwirklich erschien im Vergleich zu den Schrecken, die sie hinter sich gelassen hatten. Hier, am schimmernden Ufer der Yaruga, versammelten sich die Überreste von Nilfgaards Armee – eine verzweifelte Ansammlung von Männern, deren Uniformen vom Schmutz und Blut der Schlacht zerfetzt waren.
Einige der Offiziere, mit schlaffen Gesichtern und Augen, die wie tiefe Gruben voller Verlust schienen, scharten sich um Karten und Pläne, während sie hastig über den weiteren Rückzug beratschlagten. Ihre Stimmen waren einheitlich, durchdrungen von der drückenden Realität, dass sie nicht mehr das unbesiegbare Imperium waren, sondern nur noch die Überbleibsel einer gescheiterten Armee. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen über den Fluss und tauchten die Szenerie in ein gespenstisches Licht, während die Unsicherheit und das Pochen der Erinnerungen an verlorene Schlachten wie ein Schatten über ihnen schwebten.
Der Fluss war jetzt nicht nur eine physische Barriere, sondern auch ein Symbol ihrer letzten Hoffnung, während sie vorerst Sicherheit suchten, gebannt von der Sorge, dass die Nordländer, die Verfolger in der Dunkelheit, niemals weit entfernt waren.
Aramis saß mit Jaques und Henri am Rand eines Feuers, als die ersten Soldaten die Yaruga überquerten. Die Flammen tanzten vor ihnen, doch Aramis’ Gedanken waren bei den Nachrichten, die sie aus den verschiedenen Teilen des Landes erreicht hatten. Mayena war gefallen, und die Nilfgaarder hatten sich weiter nach Süden zurückgezogen. Der Krieg war im Westen fast entschieden, und die Nordländer marschierten auf Cintra zu. Es gab kaum Hoffnung mehr auf Verstärkung oder eine Wende im Krieg. Nilfgaard verlor an allen Fronten.
Der Frieden von Cintra
Nachdem die Überlebenden der Schlacht von Brenna die Yaruga überquert hatten, fanden sie sich in der nördlichsten Provinz des Kaiserreiches wieder. Das ehemalige Königreich Cintra, dass erst vor wenigen Jahren von Nilfgaard erobert worden war, sollte nun der Ort sein, an dem sie den vereinten Norden aufhalten mussten um das Imperium und damit auch Toussaint zu schützen.
Aramis und seine Gefährten, zusammen mit den Resten der kaiserlichen Armee, hatten sich bei der alten Stadt Cintra versammelt. Hier, in der Hauptstadt der Provinz mit seiner alten Festung, sammelte sich Nilfgaard erneut. Die kaiserlichen Banner wehten träge in der heißen Luft, während die letzten Vorbereitungen für die Verteidigung getroffen wurden. Einige neue Verbände trafen aus dem Kernland des Imperiums ein, es waren weniger kampferprobte Divisionen, aber immerhin mehr als Aramis in der kurzen Zeit erwartet hatte.
Gerade als die Armeen des Nordens die Yaruga überschritten hatten und sich die Kaiserlichen bereit machten, ihnen entgegenzutreten, kam die überraschende Wendung: Anstatt erneut das Schwert zu erheben, wurden Friedensgespräche eingeleitet. Diplomaten aus dem Kaiserreich und den Königreichen des Nordens trafen in der Stadt Cintra ein, begleitet von einem schwerfälligen Schweigen und tiefen Misstrauen auf beiden Seiten.
Aramis und seine Gefährten, die sich eben noch auf einen weiteren Kampf vorbereitet hatten, sahen sich plötzlich mit der Hoffnung auf Frieden konfrontiert. Das Schicksal des Kaiserreichs, des Nordens und ihrer Heimat Toussaint hing nun nicht mehr an Schwertern, sondern an Worten.
Die Überlebenden von Toussaint saßen gemeinsam mit Aramis in einem Gasthaus am Rande des zentralen Marktplatzes der Stadt. Von hier aus konnten sie die hohen Türme des Palastes sehen, wo die Friedensgespräche zwischen den Monarchen der Nördlichen Königreiche und den Abgesandten Nilfgaards stattfanden. Sie waren Überlebende, Teil einer Armee, die auf den Schlachtfeldern zerbrochen war… und doch, dachte Aramis, waren sie eventuell Zeugen eines entscheidenden Moments in der Geschichte.
Die Stadt selbst war merkwürdig still, als ob sie den Atem anhielt. Normalerweise war Cintra voller Leben, doch an diesem Tag schien eine bedrückende Ruhe über allem zu liegen. Die Straßen waren leerer als sonst, als ob die Menschen die Bedeutung der Gespräche ahnten und in Erwartung der Neuigkeiten zurückhielten.
Aramis griff unwillkürlich an seine Seite, als der stechende Schmerz ihn wieder durchfuhr. Die Wunde heilte, doch sie war ein ständiger, stiller Begleiter geworden. Er atmete tief durch und schaute auf die fernen Mauern von Cintra, hinter denen die Verhandlungen stattfanden. Ein Moment der Ruhe, bevor die Welt sich wieder verändern würde.
„Was denkst du, wie das hier endet?“ fragte Gauvain, der neben ihm saß, einen Becher Wein in der Hand. Trotz der Müdigkeit, die in seinen Augen lag, war er immer noch der Krieger, der er immer gewesen war—eine starke, unnachgiebige Gestalt, die trotz der Strapazen Haltung bewahrte.
Aramis zögerte, den Blick weiterhin in die Ferne gerichtet. „Wie es endet?“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht mit einem Vertrag, vielleicht mit neuen Grenzen. Aber für uns…“ Er hielt kurz inne. „Für uns heißt es, dass wir heimkehren. Wir haben unseren Teil getan. Jetzt müssen wir nach vorne schauen.“
Gauvain trank einen Schluck und schüttelte leicht den Kopf. „Nichts wird sein wie früher. Wir können heimkehren, ja, aber es wird nicht dasselbe sein. Nicht nach allem, was passiert ist.“
„Nein, das wird es nicht,“ sagte Justine ruhig. Sie stand ein Stück entfernt, den Blick ebenfalls auf den Palast gerichtet, als könnte sie die Gespräche dort drinnen hören. „Aber was zählt, ist, dass wir überlebt haben. Nilfgaard wird sich erholen, und die Nordlinge mögen jetzt stärker sein, aber wir… wir sind noch da.“ In ihren Augen flackerte der alte Funke wieder auf. „Und so lange wir noch stehen, gibt es immer Hoffnung.“
Aramis lächelte leicht. „Hoffnung, ja. Und vielleicht noch ein bisschen mehr. Egal, was in diesen Hallen entschieden wird, unser Weg ist klar. Heimkehren, uns wieder aufbauen. Wir haben uns durch den schlimmsten Sturm gekämpft, und jetzt ist es an der Zeit, den Frieden zu finden, den wir uns verdient haben.“
Gauvain nickte langsam, und zum ersten Mal seit Tagen lag ein Hauch von Zuversicht in seinem Blick. „Ja, das stimmt. Wir haben es bis hierher geschafft. Und was auch kommen mag – wir werden es überstehen. Wie immer.“
In der Ferne färbte die untergehende Sonne den Himmel in warmes Rot und Gold, als hätte sie das Blut der vergangenen Schlachten verschluckt und in etwas Neues verwandelt. Sie standen still, lauschten dem leisen Wind, der über die Mauern von Cintra strich, und wussten, dass sie, egal wie unsicher die Zukunft auch sein mochte, diesen Moment in ihrem Herzen tragen würden.
Die ersten Nachrichten über die Vereinbarungen des Friedensvertrages drangen bald zu ihnen durch. Nilfgaard würde große Teile der besetzten Gebiete zurückgeben – Brugge, Lyrien und das Flussland. Temerien, das ohnehin schon unter den Siegern am meisten profitiert hatte, erhielt Sodden und Angren. Doch nicht alle waren Gewinner. Aedirn musste sich mit großen Gebietsverlusten abfinden, während Kaedwen und Redanien trotz ihrer Beteiligung wenig bis gar nichts gewannen. Es war ein ernüchterndes Bild, das sich abzeichnete: ein politisches Spiel, in dem Grenzen verschoben und alte Feindschaften neu entflammt wurden.
„Kaedwen und Redanien gehen leer aus,“ bemerkte Henri trocken, als sie eine Nachricht erhielten. „Das dürfte für Spannungen sorgen.“
„Und Dol Blathanna,“ fügte Aramis hinzu. „Die Elfen bekommen ein eigenes Fürstentum. Francesca Findabair hat das wohl durchgesetzt … aber die Scoia’tael werden als Kriegsverbrecher gejagt.“ Es war eine seltsame, brüchige Gerechtigkeit, die hier vollzogen wurde.
Während sie über die Bedeutung der Vereinbarungen diskutierten, begann in der Stadt ein leises Murmeln. Die Verhandlungen waren abgeschlossen, und das Abkommen wurde bald offiziell verkündet.
Aramis und seine Kameraden verbrachten noch einige Tage in Cintra und warteten darauf, dass alle ihre Männer bereit waren nach Hause zurückzukehren. Eines Morgens war es dann soweit …
„Alles zum Aufbruch bereit machen,“ rief Aramis eines Morgens zu den anderen, als sie beim Frühstück im Lager zusammen kamen. „Zurück nach Toussaint!“
Die Rückkehr
Die Rückkehr nach Beauclair war eine Reise voller gemischter Gefühle für Aramis und seine Gefährten. Nachdem sie die Schrecken des Krieges in Brenna überlebt und den Frieden von Cintra miterlebt hatten, schien die Heimat plötzlich unwirklich. Ihre Rüstungen trugen noch die Spuren der Schlacht, ihre Körper waren erschöpft von den Strapazen, aber ihre Herzen waren erfüllt von der Aussicht auf Frieden und Heimkehr.
Als sie durch die ersten vertrauten Hügel ritten, die die Weinberge von Toussaint umgaben, sahen sie in der Ferne die schimmernden Türme von Beauclair. Die Stadt lag malerisch zwischen den Reben, eingerahmt von sanften Hügeln und Flüssen, als wäre sie der Schauplatz eines ewigen Sommers. In der Luft hing der Duft von Lavendel und Trauben, die in der milden Sonne reiften. Alles wirkte so friedlich, als hätte der Krieg nie existiert, als wären die Schrecken der vergangenen Monate nur ein böser Traum.
Die Straßen waren geschmückt, die Häuser mit Blumen und Fahnen verziert, als würden die Bewohner von Beauclair auf die Rückkehr ihrer Ritter sehnsüchtig warten. Menschen kamen aus ihren Häusern, als sie die Ritter mit ihrem Gefolge durch die Stadt reiten sahen, und bald hallte jubelnder Applaus durch die Straßen – Sie wurden wie Helden empfangen!
„Sie sehen nur die glänzende Rüstung“, sagte Gauvain leise zu Aramis, während sie durch die jubelnde Menge ritten. „Sie wissen nichts von dem Schrecken, der hinter uns liegen.“
„Und das ist gut so“, antwortete Aramis, dessen Blick auf die Menschen fiel, die ihnen dankbar zuwinkten. „Es ist unsere Pflicht, ihnen diesen Frieden zu bringen, damit sie nie erfahren müssen, was wir erlebt haben.“
Für die Menschen von Toussaint waren die Rückkehrer aus dem Krieg Symbole von Mut und Ehre, der Inbegriff der Tugenden, die ihr Land so hochhielt. Diese Tugenden, so war es immer gewesen, machten Toussaint aus – ein Land der Schönheit, des Überflusses und der Romantik. Die Ritter, die hier lebten, waren mehr als nur Kämpfer. Sie verkörperten das Ideal des edlen Kriegers, der nicht nur für Ruhm und Sieg kämpfte, sondern für das Leben, das es zu schützen galt.
Während sie näher an den Herzogspalast herankamen, breitete sich vor ihnen die prächtige Silhouette des Schlosses aus. Die goldenen und elfenbeinfarbenen Mauern schimmerten im Abendlicht, und die Türme ragten stolz in den Himmel.
„Der Palast“, sagte Étienne ehrfürchtig, als sie die letzten Meter zu den Toren des Palastes zurücklegten. „Er ist so schön, wie ich ihn in Erinnerung hatte.“
Aramis lächelte leicht. „Ja, mein Junge!“
Der Empfang bei der Herzogin entfaltete sich mit einer Pracht, wie sie nur in Toussaint zu finden war. Sobald Aramis und seine Begleiter das Tor des Palastes von Beauclair durchritten, wurden sie von einer Eskorte in prächtigen Uniformen empfangen. Trompeten ertönten, und die Klänge von sanften Lauten und Harfen stiegen in die Luft, als Boten eilten, um die Herzogin über ihre Ankunft zu informieren.
Der Innenhof des Palastes war festlich geschmückt. Weinreben wanden sich um die Marmorsäulen, bunte Blumenkränze hingen von den Balkonen, und überall funkelten Lichter, als stünde ein großes Fest bevor. Diener eilten umher, trugen Krüge mit den besten Weinen Toussaints und Tabletts mit köstlichen Delikatessen.
Herzogin Anna Henrietta, strahlend und makellos in einem kunstvoll bestickten Kleid aus weißem Satin, trat mit einer Anmut hervor, die ihresgleichen suchte. Ihr goldenes Diadem funkelte im Licht der sinkenden Sonne, und ihre tiefen, grünen Augen musterten die Ankömmlinge mit einer Mischung aus Stolz und tiefer, stiller Trauer. Sie wusste, was es bedeutete, wenn ihre Ritter nach Hause kehrten – es war nie ohne Opfer.
Aramis kniete als Erster nieder, das Haupt leicht gesenkt. Gauvain, Justine, Henri, Jaques und Étienne folgten ihm in einer fließenden Bewegung. Der Augenblick war feierlich, doch auch schwer – die Ritter Toussaints, die in den Krieg gezogen waren, kehrten nicht alle zurück.
„Meine treuen Ritter von Toussaint,“ begann die Herzogin mit einer warmen, aber ernsthaften Stimme, „ihr seid zurückgekehrt, und das Land schuldet euch eine unermessliche Dankbarkeit. Ihr habt eure Pflicht mit Ehre erfüllt und Toussaints Namen in den entlegensten Schlachtfeldern verteidigt. Doch mehr als das – ihr habt den Frieden gebracht, den wir so lange ersehnt haben.“
Ihre Worte klangen wie Musik, sanft und doch kraftvoll. Aramis hob den Blick, und ihre Augen trafen sich. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Die Herzogin verstand, ohne dass Worte nötig waren, welche Bürde die Überlebenden mit sich trugen.
„Erhebt euch,“ sagte sie leise, und ihre Stimme verlor nichts an königlicher Autorität. „Heute seid ihr Helden, und auch wenn ihr die Wunden des Krieges noch tragt, wird euch Toussaint nie vergessen.“
Die Ritter erhoben sich, und ein leises Murmeln der Menge erfüllte den Hof. Diener brachten Weinkelche, und als ein Diener Aramis einen Kelch anbot, hielt er kurz inne. Der Wein funkelte rubinrot im Glas, doch es fühlte sich fremd an, nach allem, was er erlebt hatte, zu feiern. Dennoch nahm er den Kelch und stieß, wie die anderen, stumm auf den Frieden an.
Die Herzogin trat näher an Aramis heran. „Monsieur Aramis, eure Taten werden in den Annalen von Toussaint geschrieben stehen. Ich hoffe, dieser Frieden wird lang genug währen, dass keine Generation mehr durch solche Gräuel gehen muss wie die eurige.“
Aramis nickte dankbar. „Eure Hoheit, wir haben getan, was notwendig war. Doch was uns mehr als der Ruhm am Herzen liegt, ist, dass die Menschen von Toussaint weiter in Frieden leben können.“
Die Herzogin lächelte traurig. „Das ist das größte Geschenk, das ihr uns bringen konntet. Und dafür schulde ich euch, meinen treuen Rittern, mehr, als Worte ausdrücken können.“ Sie blickte zu Gauvain, Justine und den anderen. „Heute feiern wir nicht nur den Frieden, sondern auch euer Leben. Ihr seid das Herz von Toussaint, und eure Heimat ist euch auf ewig dankbar.“
Am Abend, als die Dunkelheit über Beauclair hereinbrach und die Sterne über den sanften Hügeln glitzerten, saßen Aramis, Gauvain, Justine, Henri und Jacques in einem der ruhigen Gärten des Palastes. Der Duft von Wein und frischen Blumen lag in der Luft, und die Geräusche der Feierlichkeiten im Palast klangen nur noch gedämpft zu ihnen herüber.
„Was jetzt?“, fragte Henri, den Blick in die Sterne gerichtet.
„Jetzt“, sagte Gauvain nachdenklich, „leben wir. Und vielleicht, mit der Zeit, vergessen wir ein wenig von dem, was wir gesehen haben.“
„Vergessen?“, fragte Jacques mit einem bitteren Lächeln. „Ich glaube nicht, dass wir das je können.“
„Vielleicht nicht“, stimmte Aramis zu. „Aber wir können lernen, damit zu leben. Toussaint ist unsere Heimat. Und es ist ein Ort, der uns erlaubt, zu heilen. Irgendwann.“
Die anderen schwiegen, doch in ihren Augen lag Hoffnung – eine zarte, zerbrechliche Hoffnung, die sie mit jedem Tag in diesem Land des Weins, der Poesie und der Schönheit wieder aufbauen würden.
Ein neuer Aufbruch
Die Morgensonne strahlte sanft über die Hügel von Toussaint und tauchte die Burg Avallach in ein goldenes Licht. Das Jahr seit dem Frieden von Cintra hatte die Wunden von Aramis und den anderen in vielerlei Hinsicht geheilt, doch in den tiefen Ecken seines Herzens brannte immer noch die Sehnsucht nach Abenteuern und neuen Herausforderungen. Die lange Zeit des Friedens und der Ruhe hatte ihm gezeigt, wie sehr er das Streben nach Heldentaten vermisste, das Gefühl, auf dem Pfad der Ehre und des Ruhms zu wandeln.
Die Stammburg der du Lac’s, ein Ort voller Geschichte und Legenden, erhob sich majestätisch über den See, umgeben von den üppigen Weinbergen und dichten Wäldern Avallachs. Die Silhouetten der Türme und Mauern waren im frühen Licht klar erkennbar, und der Morgennebel, der sanft über die Landschaft zog, verlieh dem Anblick eine fast mystische Aura.
Aramis stand auf der Spitze der Burgmauer und blickte nachdenklich in die Ferne. In seiner Rüstung, die wieder glänzte und gut gepflegt war, sah er sowohl aus wie der Ritter von einst als auch wie jemand, der sich auf einen neuen Anfang vorbereitete. Neben ihm stand Lucien, sein neuer Knappe, nachdem Étienne erst kürzlich die Schwertleite erhalten hatte und nun seinen eigenen Weg ging. Lucien war ein Neuling in der Welt der Ritter, aber sein Blick war entschlossen und voller Ehrfurcht.
„So sieht also die Welt von hier oben aus“, sagte Lucien leise, als er neben Aramis stand. „Es ist atemberaubend.“
Aramis lächelte, ein Ausdruck von Melancholie und Zuversicht zugleich. „Ja, es ist ein schöner Anblick. Aber das ist nicht alles, was die Welt zu bieten hat. Es gibt noch viele Abenteuer, die auf uns warten.“
„Was genau suchen wir?“, fragte Lucien neugierig, während er sich bemühte, seine Aufregung zu verbergen.
„Herausforderungen“, antwortete Aramis, „und vielleicht ein wenig von dem, was uns die Welt noch zu zeigen hat. Der Frieden ist wichtig, aber manchmal muss man hinausziehen, um zu verstehen, wie man ihn bewahren kann.“
Die Vorbereitungen für die Reise waren abgeschlossen. Die Pferde waren gesattelt und standen bereit, die Ausrüstung war sorgfältig gepackt, und die letzten Vorkehrungen wurden getroffen. Die Familie und die Burgbewohner hatten den beiden einen schönen Abschied bereitet, ihre freundlichen Wünsche und Ermutigungen waren überall zu hören. Die Stimmung war einer Mischung aus Freude und Bedauern – Freude über den Mut, wieder aufzubrechen, und Bedauern, weil sie sich von vertrauten Gesichtern trennten.
Aramis und Lucien ritten durch das Tor der Burg, das sich langsam öffnete, und die kühle Morgenluft strich ihnen entgegen. Die Landschaft breitete sich vor ihnen aus, ein Meer aus Grün und Gold, das sich endlos erstreckte. Die beiden ritten Seite an Seite, und während sie durch die verschlungenen Wege und über die sanften Hügel zogen, wurden sie von den letzten Sonnenstrahlen des Morgens begleitet.
„Ich frage mich, wohin uns der Weg führen wird“, sagte Lucien und ließ seinen Blick über die sich öffnende Landschaft schweifen.
„Der Weg ist oft ungewiss“, erwiderte Aramis. „Aber es ist gerade diese Ungewissheit, die das Abenteuer ausmacht. Wir können nur hoffen, dass wir bereit sind für das, was kommt.“